Die gelöschte Welt
Wildpferde zu jagen. Die Sorte Hund, die ein Revier bezieht und in einer verlassenen Bar haust. Ich schiebe Theresa hinter mich, der Hund bemerkt die Bewegung und dreht den schweren Kopf in meine Richtung. Ich kann nur noch »Ach du Scheiße« denken, ehe er springt.
Irgendwie stelle ich mir noch vor, ich könnte mich ducken, aber da Theresa hinter mir ist, geht das nicht, und das Biest schießt wie ein riesiger schwarzer Torpedo los. Dennoch hebe ich die rechte Hand, drehe die Handfläche nach oben und hoffe bei Gott, dass nun etwas auftaucht, das Meister Wu mich gelehrt hat, und nicht bloß ein verdammter Reflex, weil ich soeben zum Beutetier ernannt wurde. Aber schon schiebt sich Gonzos breiter Rücken vor mich, er stützt sich mit einem Bein ab und fängt den Hund auf, der sich auf mich stürzen will. Das Tier kratzt mit den Hinterpfoten und schnappt nach ihm, aber Gonzo hält ihn an beiden Vorderbeinen fest und zerrt sie auseinander. Seine Trapezmuskeln spannen und lockern sich, bis ich die Rippen des Hundes krachen höre. Das Tier kreischt und fällt gebrochen herunter.
Als sich Gonzo zu mir umdreht, ist sein Gesicht voller Abscheu, die nur ich sehen darf. Dann grinst er frech, wie er es jeden Tag tut. Es mag gefühllos sein, aber wenn er irgendetwas anderes tun würde, dann würde möglicherweise Belinda vor Angst ohnmächtig werden.
»Es wird wohl Zeit zu gehen«, sagt er und schlendert hinaus. Belinda folgt ihm, auch Theresa geht nach draußen. Ich betrachte das Ungeheuer und frage mich, ob ich mir die Hand vors Gesicht schlagen oder mich retten wollte, als ich sie hob. Dann erkenne ich, dass der Hund nicht tot ist. Er kann aber nicht mehr laufen, er kann sich nicht mehr aufrichten und mich angreifen. Er wird bald sterben, ist aber noch nicht ganz tot. Gonzos Hundevernichtungstechnik, die er sich aus Überlebensbroschüren und Gerüchten über Einbrüche zusammengeklaubt hat, wirkt ungeübt und unvollkommen. Wenn man die Vorderbeine auseinanderreißt, sollte eigentlich das Herz zerplatzen, aber das ist nicht geschehen. Die Arbeit ist also noch nicht getan.
Schwarze, vorwurfsvolle Augen sehen mich an, als ich zur Tür gehe. Dann wimmert er. Ein kleines, verzweifeltes Geräusch, das man eher bei einem Hund erwartet, dem man die Kinder anvertrauen würde, der einem die Pantoffeln bringt und Katzen im Maul herumträgt, ohne jemals auf die Idee zu kommen, einen Katzensnack zu sich zu nehmen. So ein Laut darf nicht aus einem Biest kommen, das mir gerade eine neue Öffnung in die Anatomie reißen wollte. Gonzo hat mich vor ihm gerettet. Ich drehe mich um und betrachte noch einmal den Hund. Offensichtlich hat er große Schmerzen und ist hilflos. Er zuckt, schnüffelt und dreht sich, bis ein weißer Fleck am Hals zum Vorschein kommt. Wenn es eine Sprache gibt, die unter Säugetieren universal ist, dann ist es die der Schmerzen. Die Frage der Dominanz ist geklärt. Nur die Frage der Erlösung bleibt noch offen. Fr bittet mich zu vollenden, was Gonzo begonnen hat.
Ich trete näher und rechne fast mit einem rachsüchtigen Schnappen. Es bleibt aber aus. Der Hund wartet nur. Ich gebe ihm die einzige Hilfe, die ich ihm geben kann. Es dauert nicht lange. Dann gehe ich in die dunkle Nacht hinaus, versuche zu lächeln und erleichtert zu sein.
In dieser Nacht schläft Gonzo nicht mit Belinda Appleby. Sie ist zu verstört, und er hat sich eine Verletzung zugezogen, die nicht männlich, sondern eher eklig ist. Sie versorgt seine Wunden, besteht aber darauf, dass weitere Vertraulichkeiten aufgeschoben werden. Ich fahre mit Theresa zu mir und richte mir mit überzähligen Kissen ein Nachtlager auf dem Boden, während sie im Bad ist. Nach ihr gehe auch ich ins Bad und wasche mich länger, als es eigentlich nötig ist, weil ich den Geruch des sterbenden Hundes nicht aus der Nase bekomme. Als ich fertig bin, hat sie mein improvisiertes Bett zusammengerollt, und die Decke, die sie nicht ganz hochgezogen hat, verhüllt in keiner Weise die Tatsache, dass sie darunter nackt ist. Wir stellen Ms Poynters Lektionen auf eine gründliche Probe. Technisch gesehen ist es weder für sie noch für mich das erste Mal, aber es ist das erste Mal, dass es derart erschütternd und entsetzlich köstlich ist. Furcht und Gefahr sind vielleicht der Grund, aber vielleicht ist es auch nur eine Art von Seelenverwandtschaft – ich bin ebenso Gonzos Schatten, wie sie Belinda folgt. Keiner von uns verspürt offenbar den Wunsch, dass die Begegnung
Weitere Kostenlose Bücher