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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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irgendwelche Konsequenzen haben solle. Nach dieser Nacht gehen wir getrennte Wege.
    Gonzo holt mich am nächsten Morgen ab. Erst als wir das Frühstück fast beendet haben, reden wir über Kannibalenhunde. Nun sprudelt alles aus mir heraus, und ich gestehe ihm erschüttert, dass ich nicht gewusst hatte, was ich hätte tun sollen, wenn er nicht da gewesen wäre. Gonzo zuckt mit den Achseln. Ohne mich, sagt er, wäre er gar nicht erst hineingegangen. Ich starre ihn nur an.
    »Aber du hast doch angehalten«, erinnere ich ihn.
    »Ich wollte nur den verdammten Wagen wenden«, antwortet er und starrt zurück. »Auf keinen Fall …«, beginnt er, aber ich lache schon brüllend, weil keiner von uns dieses verdammte Haus betreten wollte und weil wir es dann doch taten, da jeder glaubte, der andere sei dazu entschlossen. Der Todeskampf des Ungeheuers verblasst in meiner Erinnerung. Ich sage Gonzo, dass er mir das Leben gerettet hat, und er grinst und sagt, vielleicht stimme das, vielleicht auch nicht. So trödeln wir nach Hause.
    Nach dem Mittagessen kommt ein Anruf – das Gongfu der Evangelistin ist stark – von Dr. Fortismeer von der Jarndice University (er scheint ehrlich entzückt, und ich komme nicht umhin, die Theorie aufzustellen, dass er und die Evangelistin Geliebte sind und dass meine Zulassung zu dieser Lehranstalt mit dem Versprechen auf sagenhafte körperliche Freuden erkauft wurde, obschon mich diese Vorstellung abstößt, weil sie auch eine kurze, hastig wieder unterdrückte Vision ihrer Kopulation umfasst). Er freut sich, mir mitteilen zu können, dass ich für einen neuen Studiengang ausgewählt wurde, der Quadrille genannt wird und die Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft durch ein Studium generale mit einem entsprechenden Abschluss zu verbessern sucht. Dr. Fortismeer klingt am Telefon wie einer dieser plumpen, ungeheuer dicken Männer, die das Jagen und Fischen als höchsten Ausdruck der Männlichkeit betrachten und sich ansonsten zahlreichen Tätigkeiten hingeben, die man allgemein nur als »Lärmbelästigung« zusammenfassen kann. Er unterbricht seine Erläuterung des Studiengangs immer wieder durch lautes Lachen und Schnauben, um anzudeuten, irgendwann sei auch er mal jung gewesen, und sein Herz und die anderen Körperteile seien es tatsächlich immer noch. Die Quadrille umfasst vier Elemente (daher der Name), als da wären: I. Kunst und Literatur, II. Geschichte, Anthropologie und Wissenschaftsgeschichte, III. Mathematik und Physik, IV. Chemie, eine Einführung in die Medizin und Biologie im Stile eines Autodidakten der Renaissance, auch wenn es sich nicht autodidaktisch gestalten wird. Ich soll mich für vier Jahre meines Lebens verpflichten, und ich täte gut daran (schnaub, schnief), auf ein Übermaß an Partys, Vergnügungen und vor allem auf (hoho, mein Junge, wir wissen doch, wie schwer das für dich werden wird) Ablenkung durch Mädchen zu verzichten, die (köstlich für den Leib, tragisch für den Geist) offenbar häufig der Grund für schlechte Noten und gebrochene Herzen seien. An dieser Stelle hält Dr. Fortismeer inne und erwartet offenbar, dass ich etwas sage. Also bedanke ich mich, und er lacht so laut, dass es das Telefon überfordert, das das Signal nur noch verzerrt überträgt. Dann sagt er mir, ich solle nicht vergessen, warme Kleidung einzupacken, da es in Jarndice in der Nacht verdammt kalt werden könne, wenn man allein schläft (ähem, ähem). Ich versichere ihm, dass ich daran denken werde und sehe ein, dass mich ein bizarrer Charakter an den nächsten ausgeliefert hat, was mich aber eigentlich nicht überraschen sollte. Also gehe ich zum College.
     

3 Eine Universitätsausbildung • Sex, Politik und die Konsequenzen
     
    Der Mann, dessen Kopf meine Aufmerksamkeit erregt, heißt Phillip Idlewild, aber ich kenne ihn seit einer Stunde als Laienkanzler Dr. Idlewild, Professor für Griechisch und dem Rang nach der Leiter der Jarndice University. Es ist ein stürmischer Oktoberabend, der Himmel zeigt jenes dunkle Blaugrau, das ein Künstler namens Payne so gern dargestellt hat. Solche Tage gibt es manchmal, und heute ist einer davon, aber die Gegend, in der ich aufwuchs – begrenzt von den Cricklewoodsümpfen auf der einen und Jarndice auf der anderen Seite – erfreut sich gewöhnlich eines milden Klimas, in dem empfindliche Blumen und glückliche Kurzhaarhunde gedeihen. Heute aber peitscht der Wind über das Meer und trägt den Geruch von Salz, Gischt und Teer herüber. Es

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