Die gelöschte Welt
Soames antwortet nicht sofort. Sie führt die Finger wieder wie einen Kirchturm zusammen, atmet tief ein und denkt nach. Dann legt sie die Kippe mit einer entschlossenen Bemerkung weg und richtet sich auf, als wollte sie sich gleich vom obersten Sprungbrett stürzen.
»Nein«, sagt Assumption Soames. »Die wahre Geschichte ist, dass Dr. Soames die Kannibalen überzeugen konnte, ihn unter gewissen Bedingungen in Ruhe zu lassen. Er benutzte ihr Telefon, rief eine Reihe von Pannendiensten und Taxiunternehmen an und bestellte Fahrer zu der kleinen Kannibalenstadt, die getötet, zubereitet und mit Äpfeln garniert serviert wurden. Dann hielten die Kannibalen und Dr. Soames ein Festmahl ab, und Dr. Soames verfütterte unter dem Tisch Happen der Fernmeldetechniker an die bösen Kannibalenhunde und an seinen eigenen Hund. Und dann ist der verdammte Hurensohn nach Hause gekommen und bei mir daheim an Kuru gestorben. Sogar der Hund ist gestorben, weil einer der großen, bösen Kannibalenhunde noch einen Nachtisch brauchte.« Sie zuckt mit den Achseln. »Und jetzt raus hier, ich muss ein paar Leute anrufen. Und pass auf mein Kind auf.« Das hätte ich vielleicht gern getan, aber Elisabeth braucht mich wohl nicht. Assumption Soames scheucht mich hinaus.
Ich überbringe Gonzo die gute Neuigkeit. Er brüllt wie ein großer Affe zum Himmel hinauf und trommelt sich entzückt auf die Brust, denn im Autokino läuft Tarzan, und Belinda Appleby ist von Johnny Weissmüller völlig hingerissen. Deshalb will Gonzo als die bestmögliche, gerade noch greifbare Annäherung auftreten, wenn er sie am Abend im Crichton's Arms trifft.
»Aber«, sagt Gonzo und legt sich einen Zeigefinger auf die Lippen. Ich kenne dieses »Aber«. Es ist ein einleitendes »Aber«, auf das wahrhaft erschreckende Pläne und famose Streiche folgen. Das herausfordernde »Aber« zwischen zwei Jungs und das für unsere Freundschaft so wichtige Ritual, bei dem wir gegenseitig unsere Sätze beenden. »Aber«, sagt Gonzo, »wir sollten dort unbedingt mal nach dem Rechten sehen.«
Ich muss nicht erst fragen, um zu wissen, was er meint. Er möchte, dass wir – und nach Möglichkeit auch Belinda Appleby und eine ihrer schlanken, willigen und hoffentlich mit einem ergiebigen Ausschnitt versehenen Freundinnen, die zufällig in der Nähe ist, wenn wir diese brillante Idee laut äußern – in irgendein Auto oder einen Truck steigen, am besten in Ma Lubitschs launischen Geländewagen mit der altmodischen grünen Lackierung, dem verbeulten Kühlergrill und der Erscheinung eines kräftigen Arbeitspferdes. Wir sollen zum Gasthof hinausfahren und überprüfen, ob es an der Kreuzung im Cricklewoodsumpf wirklich Kannibalen gibt. Wenn dort nämlich keine sind, sollten wir, nachdem wir ein paar Schleiereulen aufgeschreckt und einen Dachs gesichtet haben, den geordneten Rückzug zu unserem Lieblingsplatz antreten, um uns lustvollen privaten Vergnügungen und der andächtigen Würdigung dieser schönen Exemplare begeisterter junger Weiblichkeit hinzugeben.
So sitze ich am Ende neben Gonzo Lubitsch auf dem Beifahrersitz, Theresa Hollow hat sich vorgebeugt und kratzt bei jedem Schlagloch mit den Fingernägeln wie zufällig leicht über meinen Nacken. Nur, dass Theresas Hand immer wieder an dieselbe Stelle zurückkehrt, wenn ich die schwere Taschenlampe auf verdächtige Schatten richte und Gonzo einen Schrei ausstößt, während die Mädchen verzückt erschauern und ihn hauen. Mir stehen alle Haare zu Berge, und die Wallungen breiten sich von dieser kleinen Berührung in meinem ganzen Körper aus, bis sie sich irgendwo auf halbem Wege zwischen meinen Knien und meinem Herzen zu einem zuckenden, angenehmen Knäuel verbinden.
Es ist überhaupt keine gespenstische Nacht. Es ist Sommer, es gibt keinen Nebel. Überall grunzen und schnüffeln die Tiere. Ein Stück entfernt im Süden sieht man sogar noch Licht und hört das Rauschen des Straßenverkehrs. Auf dem Meer fährt ein Schiff, auf dem vermutlich ein Shuffleboard-Wettbewerb stattfindet: Völlig aus dem Häuschen werfen zahlreiche ältere Damen und Herren ihre Autoschlüssel in den Hut und hoffen auf eine berauschende Liebesnacht mit dem Sieger der Runde (sie kommen ausnahmslos auf ihre Kosten, weil die Kreuzfahrtveranstalter diskret dafür sorgen, dass die sexuellen Bedürfnisse der Gäste befriedigt werden. Ich habe mal im Frühling einen ganzen Monat damit verbracht, die Anmeldungen auszubalancieren, was höllisch schwer war, weil
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