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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Schließlich wird sich eine Invasion von untotem Papier über das Land ergießen, die nichts und niemand aufhalten kann … haha.
    Ich lege den Zombiebrief weg und schüttele meine Schuhe aus.
    Die Tatsache, dass ich noch nicht erschossen wurde, klebt wie ein persönlicher Makel an mir. Ich stelle mir vor, dass zu Hause Kuchen backende Damen eines gewissen Alters die Entwicklung des Konflikts verfolgen, sich zusammensetzen und empört tsk-tsk machen, als hätte ich in der Kirche gefurzt oder mir im Angler's Arms Freiheiten bei der Bedienung erlaubt. Missus Laraby, Miz Constanze, Biddy Henschler und ihre Freundinnen, der ganze eingebildete Bingoclub, alle beäugen mich tadelnd durch Lorgnons, während sie bei Porzellantässchen und Makronen sitzen, einander ihr Herz ausschütten und darin übereinstimmen, dass ich keine Ahnung habe, wie man so etwas anpackt. Männer wie ich sind der Grund dafür, dass wir bis Weihnachten nicht wieder nach Hause kommen. Uns fehlt der moralische Ernst, der in den Männern ihrer eigenen Generation so tief verwurzelt war, dass sie ihn leider nicht mehr vererben konnten. Sie wussten nicht einmal selbst, was sie taten, und sprachen nie mit Worten aus, was getan werden musste, sondern sie waren es einfach, sie waren erfüllt davon, und mehr muss man nicht erklären, um das schreckliche Versagen zu beschreiben, dessen ich und meinesgleichen schuldig sind. Nein, ich werde keine Fresspakete mit Kuchen bekommen, wie sie den echten, aber leider verstorbenen Männern zugedacht wurden, weil ich es erstens nicht verdient habe, und zweitens, weil dieser Krieg in einem lächerlichen, weit entfernten Land stattfindet, wo der Kuchen verdirbt, ehe ihn die Post ausliefern kann (eine Folge der Abwesenheit besagter moralischer Ernsthaftigkeit bei den Postboten), und drittens (ein drittes Argument brauchte man in der guten, alten Zeit nicht, zwei wichtige Gründe reichten damals völlig aus, wenn es um den moralischen Ernst ging), weil der Militärapparat in der Anfangsphase dieses Krieges schlechte Erfahrungen mit auswärtig gebackenen Kuchen gemacht hat, da sie bisweilen Botschaften trugen, die der Moral abträglich waren. So gab es Kuchen mit der Aufschrift »Ich vermisse dich« und »Blöder Krieg« und gelegentlich, auf besonders radikalen Kuchen, sogar »Geopolitische Spielfiguren verborgener Interessengruppen, lehnt euch auf!« Diesen Kuchen habe ich mit eigenen Augen gesehen, als George Copsen mich im Namen der Disziplin mit seiner – der des Kuchens – geräuschlosen und höchst geheimen Vernichtung beauftragte.
    Manche Kuchen enthielten auch Anweisungen, wie man Krankheiten vortäuschen kann, um dem Kampfeinsatz zu entgehen, und eine verschwindend kleine, aber Paranoia auslösende Anzahl von Nicht-Kuchen wurde sogar von noch viel unangenehmeren und gewalttätigeren Kritikern der Kriegsanstrengungen geschickt, die Gift und sogar Explosivstoffe mittels Backwaren verteilen wollten, um auf diese Weise einen Schlag gegen die hegemonistischen Kryptofaschisten zu führen. Einer von dieser Sorte ist mir nie begegnet (ich meine die Kryptofaschisten; Giftkuchen mit Botulin bekam ich leider sehr wohl zu sehen), und ich kenne auch niemanden, der einräumen würde, einer zu sein. Zweifellos liegt das Problem darin, dass die Kryptofaschisten von früher eine bessere Art von Kryptofaschisten waren, weil sie loszogen, kämpften und kolonisierten, nicht ganz so kryptisch mit der ganzen Sache umgingen und sagten, was sie dachten, während die modernen Kryptofaschisten einfach keine Klasse mehr haben.
    Ich ziehe mein Hemd an. Es ist zu warm, aber immer noch besser als ein Sonnenbrand. Ich habe auch eine Schutzweste, falls jemand auf mich schießt. Bisher ist das aber noch nicht passiert. Wenn ich sage, dass noch niemand auf mich geschossen hat (Schande! Buh! Zisch!), dann heißt das nicht, dass ich nicht dennoch verletzt wurde. In Addeh Katir sind Verletzungen an der Tagesordnung. Für ein Paradies auf Erden ist das ganze Land schockierend lebensfeindlich. Das Obst ist schön und saftig und schickt, wenn es die passende Gelegenheit findet, ein Kommandounternehmen in die Eingeweide, das eine vollständige Evakuierung befiehlt. Ein einheimisches Nagetier hat eine Vorliebe für die Gummisohlen unserer Stiefel entwickelt, und verschiedene Feuerameisen legen ihre Eier besonders gern in die Nähte unserer Uniformhosen. All das findet unabhängig von dem Nicht-Krieg statt, der im ganzen Land vor sich geht und mindestens

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