Die Genesis-Affäre: Mind Control (German Edition)
Wochen die Wahl zum Bundespräsidenten annahm. Wäre seine Entscheidung anders ausgefallen, hätte er gewusst, was auf ihn zukäme? Es war eine der vielen Fragen, auf die es niemals eine Antwort gab.
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«, hörte er seine Sekretärin fragen, deren Hereinkommen er gar nicht wahrgenommen hatte. Er sah auf und dachte, ein Schluck Cognac wäre vielleicht angebrachter.
»Einen besonders starken«, antwortete er und versank wieder in seinen Gedanken.
Als seine Sekretärin mit dem Kaffee wiederkam, bat er sie, die Presse in Kenntnis zu setzen, dass er in einer halben Stunde eine Erklärung abgeben würde. Er gab sich nur ein winziges Zeitfenster, um es hinter sich zu bringen, mit einem kleinen Hintergedanken. Er hoffte, in dieser kurzen Zeitspanne ließen sich nur verhältnismäßig wenige Journalisten mobilisieren. Doch da sollte er sich täuschen. Es schien so, als ob sämtliche Journalisten auf Genesis fixiert waren und jeden noch so kurzen Pressetermin wahrnahmen, der damit im Zusammenhang stand.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragte Winters Sekretärin vorsichtig. Sie kannte den Bundespräsidenten noch nicht sehr lange und wusste nicht einzuschätzen, wie er in Situationen wie dieser auf ihre Fragen reagieren würde. Sie erinnerte sich an seinen Vorgänger, der schnell gereizt war. Winter war anders. Er hatte einen weichen Kern, vielleicht zu weich für dieses Amt.
»Vielen Dank. Ich werde Sie rufen, wenn ich Sie brauche«, antwortete Winter und lächelte sie an. Es war nicht einmal ein gezwungenes Lächeln. Schon in seiner früheren Karriere zeichnete ihn aus, Contenance zu wahren, selbst wenn er am liebsten mit der Faust auf den Tisch geschlagen hätte. Würde er sich auch dann nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn er wüsste, dass nicht nur die Uhr des Ultimatums tickte, sondern auch der Countdown in Falkensee, der mittlerweile bei knapp 18 Stunden stand? Davon ahnte er nichts und möglicherweise war es besser so.
Die halbe Stunde verging schneller, als ihm lieb war. Pünktlich stand er auf, knöpfte sich sein Jackett zu und machte sich auf den Weg in den Pressesaal. Er strahlte Souveränität aus und hoffte, diese in der nächsten Stunde nicht zu verlieren. Nicht auszudenken, sollte er vor den bohrenden Fragen der Presse einknicken. Und solche Fragen kämen auf ihn zu, daran hatte er nicht den geringsten Zweifel. Insgeheim verfluchte er Bundeskanzler Zander, der das Volk verraten und seinen Amtseid gebrochen hatte. Anders konnte und wollte Winter es nicht sehen. Doch vor der Öffentlichkeit musste er ihn – ob er wollte oder nicht – in Schutz nehmen, um keine Massenhysterie auszulösen. Manchmal überlegte er, ob vielleicht fremde Geheimdienste hinter allem stecken könnten, die die Grundfesten der Bundesrepublik ins Wanken bringen wollten. Denkbar war es allemal. Er dachte an das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt in den 1970er Jahren, als sich später herausstellte, dass die Opposition von der Stasi gekauft worden war, um für Brandt abzustimmen.
»Meine Damen und Herren, behalten Sie Platz«, sagte Winter, als er den Konferenzraum betrat und sich hinter das Rednerpult stellte. Der Saal war bis auf den letzten Platz belegt. Einige Journalisten mussten sogar stehen. Sorgfältig legte er seine Notizen vor sich auf das Pult, sah einen Moment in das Publikum und sondierte, wer anwesend war. Schnell machte er die Fernsehkamera aus, die dem Sender gehörte, bei dem sich gegenwärtig das Geiseldrama abspielte. Dieser Kamera wollte er seine besondere Aufmerksamkeit schenken. Außerdem erkannte er jene Journalisten, von denen er die stechendsten Fragen erwartete. Sie saßen wie immer in den vordersten Reihen.
Winters Puls raste. Nun hing alles von seinem Geschick ab, möglichst diplomatisch zu verkaufen, was eigentlich mit Diplomatie nicht zu erklären war.
»Meine Damen und Herren«, begann er, »Sie alle erwarten eine Erklärung zum Rücktritt unserer Bundesregierung, was mich genauso überraschte, wie es Sie überrascht hat. Die Situation stellt mich vor eine Aufgabe, die es in dieser Form seit Bestehen der Bundesrepublik noch niemals zuvor zu bewältigen gab. Rücktritt eines Bundeskanzlers hat es in der Geschichte der Bundesrepublik schon dreimal gegeben, Rücktritt einer ganzen Regierung hingegen ist absolut neu und nicht einmal im Grundgesetz geregelt.«
Winter wischte sich Schweiß von der Stirn und trank einen Schluck Wasser.
Diszipliniert hörten die
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