Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)
auf Essig, andere arbeiten nur mit Zitronensaft. Gibt es einen naturwissenschaftlichen Unterschied? Zitronensaft zerfällt unter Lichteinfluss. Das bedeutet, dass die Mayonnaise nicht solange stabil ist. Allerdings schmeckt der Essig bedeutend aggressiver. Aber über Geschmack kann man nicht streiten. Trotzdem bietet sich auch für dieses kulinarische Problem eine vernünftige Lösung.
Am Institut für Experimentalphysik ist es üblich, dass bei der Weihnachtsfeier jeder etwas Selbstgemachtes mitnimmt und die anderen an den eigenen kulinarischen Fertigkeiten teilhaben lässt. Manche spezialisieren sich auf Kekse, andere wieder auf Deftigeres. Ich habe versprochen, gefüllte Tomaten mitzunehmen. Natürlich muss es perfekt sein, wenn ich koche, schließlich habe ich am Institut einen Ruf zu verlieren. Die Tomaten schmecken gut, sind schnell und einfach zuzubereiten, und sie sehen auch schön aus. Die Tomaten werden mit einer Gemüsemayonnaise gefüllt.
Selbstverständlich wird die Mayonnaise selbst hergestellt. Ich hatte alle Zutaten eingekauft, das Gemüse vorbereitet und wollte noch schnell einen Bericht fertig schreiben. Um halb sechs Uhr früh war ich mit der Arbeit fertig und machte mich über die Mayonnaise her. Alles hatte wunderbar geklappt, bis ich bemerkte, dass ich keinen Zitronensaft mehr hatte, und mit Essig wollte ich nicht arbeiten. Ich war zwar nicht verzweifelt, aber ich wusste, dass jetzt nur mehr eine kreative Lösung weiterhelfen konnte.
Ich trank eine Tasse Kaffee und erinnerte mich, warum man hier überhaupt Säure benötigt: um die Mayonnaise stabiler zu machen. Das Wichtige ist eine Säure, egal ob Zitrone oder Essig. Ich blickte mich um und sah des Rätsels Lösung. Ich bekam von einem meiner Stammwirtshäuser vor Weihnachten immer ein paar Flaschen Grüner Veltliner. Den Wein meines Wirtes kann man durchaus als resch, um nicht zu sagen als sauer bezeichnen. Also sollte ausreichend Säure im Wein vorhanden sein. Ich gab zwei Esslöffel in die Mayonnaise und rührte das restliche Öl ein. Und dann kam die Messung, das Experiment, ob die Hypothese von der Säure tatsächlich stimmt. Es war ein Moment, den ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Es war die beste Mayonnaise, die ich jemals gegessen, gespürt und wahrgenommen hatte. Sie war angenehm cremig, nicht zu fest und doch stabil, leicht fruchtig und besaß einen wunderbaren Abgang. Da wusste ich, dass ich etwas Neues geschaffen hatte, und das am heimischen Herd. Und nun wusste ich auch, wozu ich diesen reschen Wein wirklich verwenden konnte, denn zum Trinken wäre er zu brutal ...
Danach begann dann eine ganze Testreihe, welcher Wein sich besonders und welcher sich nicht für die Mayonnaise eignet. Das Ergebnis ist eindeutig: Fruchtige und süße Weine sind ungeeignet. Ebenfalls sollte man Rotweine vermeiden. Diese schmecken zwar nicht besonders schlecht, aber die Farbe, welche die Mayonnaise bekommt, ist nicht akzeptabel. Dieses Zuckerlrosa hat in einer Mayonnaise nichts zu suchen – die Sauce sieht dann aus wie die Glasur für ein Punschkrapferl.
Mit dieser Mayonnaise kann man nun viel anfangen: Brötchen verzieren, eine Gemüsemayonnaise herstellen und vieles mehr. Aber was machen Sie, wenn die Mayonnaise nicht gelingen will? Gerinnt die Mayonnaise, kann es verschiedene Ursachen geben, die Eier sind aber in den seltensten Fällen schuld. Da das Wasser für die Emulsion aus dem Dotter kommt, passiert es, dass zu wenig Wasser vorhanden ist. Die einzelnen Öl-Fetttröpfchen reiben aneinander, platzen auf, und die Öltröpfchen vereinen sich – die Mayonnaise gerinnt. Meist reicht es, ein bis zwei Esslöffel warmes Wasser einzufügen und die Sauce noch einmal kräftig zu verrühren.
Es kann aber auch passieren, dass das Öl und die Eier einfach zu kalt sind. Dann empfehle ich Ihnen, das Ganze eine halbe Stunde lang stehen zu lassen und dann wiederum alles kräftig zu verrühren. Und wenn gar nichts mehr hilft, was ich noch nie erlebt habe, geben Sie noch einen Dotter beziehungsweise einen Esslöffel Senf dazu. Dann sind Sie auf der sicheren Seite.
Die Schwester der Mayonnaise ist die Sauce Hollandaise, mit ihr gleichberechtigt, aber doch um eine Spur schwieriger herzustellen. Leider wird sie zu selten zu Hause zubereitet, obwohl sie eine der Grundsaucen der französischen Küche ist. Auch diese Sauce ist eine Emulsion, die warm zubereitet wird. Man verwendet auch kein Öl, sondern Butter. Damit sich die Butter mit
Weitere Kostenlose Bücher