Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)
ein interessantes Experiment durch. Er wollte wissen, wie viel Öl durch ein Eigelb emulgieren kann. Da ein Eigelb nur wenig Wasser enthält, gab er nach jedem Viertelliter Öl einen Esslöffel Wasser dazu. Ich habe in meinen Kursen diese Frage oft gestellt, und die Meinung der Zuhörerinnen und Zuhörer lautete, dass man mit einem Ei rund ein bis maximal fünf Liter Öl binden kann. Tatsächlich lassen sich aber aus einem Hühnereidotter rund 24 Liter Mayonnaise herstellen! Ein Dotter enthält so viel Netzmittel, dass man damit sehr viel Öl binden kann. Wenn wir also sechs Dotter nehmen, so reicht das für über 100 Liter Mayonnaise aus. Daher brauchen wir uns über den Frischegrad der Eier keine Sorgen machen.
Der Staubzucker hat die Aufgabe, dass das Ganze nach etwas schmeckt. Aber der Senf übernimmt zwei Funktionen: Einerseits trägt er zur geschmacklichen Harmonie bei, andererseits liefert auch er Netzmittel. Senf ist auch nichts anderes als eine Emulsion. Sie werden bereits beobachtet haben, dass aus der Senftube etwas Wasser rauskommt, vor allem dann, wenn der Senf schon längere Zeit nicht benutzt wurde. Das ist geronnener Senf – er kann noch verwendet werden. Im Senf sind es sowohl die fein gemahlenen Senfkörner als auch das zusätzlich eingebrachte Lecithin, die zu einer Emulsion führen. Wenn wir Senf dazugeben, so hat das den Vorteil, dass die Zahl der Netzmittel weiter ansteigt. Es dürfte eigentlich nichts mehr passieren.
Es ist wichtig, dass am Anfang nur einzelne Tröpfchen eingerührt werden. Ein kleines Tröpfchen hat im Verhältnis zum Volumen eine sehr große Oberfläche. Dadurch können sich viele fettfreundliche Enden des Lecithins draufstürzen. Ist der Tropfen zu groß, so muss er erst mühevoll zerschlagen werden. Gelingt dies nicht, so beginnt die Mayonnaise sofort zu gerinnen. Natürlich können Sie auch zu martialischen Geräten wie einem Stabmixer greifen. Davon rate ich aber ab. Bei einem Stabmixer werden die Blätter auf eine sehr hohe Geschwindigkeit gebracht – zu hoch für die teilweise fragilen Moleküle. Sie erhalten zwar kurzfristig eine schöne Mayonnaise, aber diese hält dafür nicht besonders lang. Am besten wäre es, die einzelnen Tröpfchen mit einem Kochlöffel einzuarbeiten. Ich persönlich habe dies noch nicht gemacht, aber das Ergebnis einmal gesehen und genossen. Es war unvergleichlich gut und sicher eine der besten Mayonnaisen, die ich jemals gekostet habe. Leider ist auch der Zeitaufwand dafür enorm. So verwende ich einen Rührschwinger auf der kleinsten Stufe. Damit sind die Ergebnisse sehr gut.
Emulgatoren oder auch Netzmittel bestehen aus zwei Teilen: einem wasserfreundlichen und einem fettfreundlichen. In der linken Grafik sieht man ein Molekül mit diesen Eigenschaften. Die beiden Halbkreise zeigen den jeweiligen Einflussbereich. In der rechten Grafik ist das Netzmittel schematisch dargestellt.
In Mayonnaise lagert sich das Lecithin um die kleinen Öltröpfchen an. Somit wird das Fett vom Wasser abgeschirmt. Es muss sich aber ausreichend Wasser zwischen den Fett-Lecithin-Tröpfchen befinden, damit diese nicht aneinanderstoßen. Kann sich das Wasser aber nur mehr wenig bewegen, so wird die Mayonnaise steif und fest.
Die einzelnen Öltröpfchen sollten vom Lecithin umgeben sein. Es bilden sich dann sogenannte Cluster. Das fettfreundliche Ende des Netzmittels zeigt dann zum Öltröpfchen, während das wasserfreundliche Ende zum Wasser hinweist. Für das umgebende Wasser, das vom Dotter stammt, sieht der Öltropfen nun wie ein großer Wassertropfen aus – er ist getarnt. Natürlich kann das Ganze auch anders aussehen, dass sich das Wasser im Inneren der Tropfen befindet und das Öl diese Tropfen umgibt. Dann zeigen aber auch die Emulgatoren in die andere Richtung. Das ist jedoch keine Mayonnaise mehr, sondern beispielsweise Butter. Bei Mayonnaise sind es die Öltröpfchen, die vom Wasser umgeben sind. Zugegeben, es ist nur wenig Wasser in der Mayonnaise, und die einzelnen Tröpfchen reiben eher aneinander. Dies sorgt aber auch dafür, dass die Mayonnaise schön fest wird. Die einzelnen Öl-Netzmittel-Tröpfchen können sich nur schwer bewegen.
Wenn dann die Hälfte des Öls eingearbeitet wurde, sollten Sie etwas Zitronensaft oder Essig beimengen. Dies verbessert einerseits den Geschmack, andererseits dient die Säure auch der Stabilität der Mayonnaise. Dabei gibt es aber große Streitereien unter den Köchinnen und Köchen. Manche schwören mehr
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