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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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Hütte am Hang an meinen Berechnungen. Draußen bewegte sich ein Wachposten, und der Kanal schäumte an die Uferbegrenzung. Wie die scheue Seeanemone sich ungesehen am Meeresgrund bewegt, näherte sich die weitgereiste Flotte mit zaghaften Bewegungen der Schlachtlinie. Am mondweißen Ufer Frankreichs brandeten die Wellen, deren Schaum die Grabstätte weiter bleichte. Währenddessen schienen die Ziffern sich auf den Seiten zu bewegen, die ich schrieb. Das sind die Bilder, die zurückkehren.
    Eine gute Stunde später würde Stagg an der ersten der Kommandeurskonferenzen in der Bibliothek von Southwick teilnehmen, die sich als so entscheidend herausstellen sollten. Obwohl das Wetter bei der ersten Konferenz noch ruhig war, erzählte Stagg ihnen, dass in vier bis fünf Stunden schon der Wind auffrischen und Wolken aufziehen würden. Eisenhower bestätigte die vorläufige Entscheidung des vergangenen Abends, dass die Invasion verschoben wurde.
    Alles stand auf der Kippe, unsere Arbeit war wirklich noch nicht getan. Wir schienen im Ende der Geschichte festzustecken und müssten darauf warten, dass die Variablen sich aufeinander abstimmten.
    Ich versuchte, nicht in die schreckliche Apathie zu verfallen, die so eine Vorläufigkeit fördert. Ich setzte meine Berechnungen mit dem Stift in der einen und der Zigarette in der anderen Hand fort, die Patronenhülsen und die Ziffern vor mir auf dem Tisch. Ich wusste, dass ich geduldig sein musste - denn jedes leere Blatt konnte das sein, das Früchte trug. Doch erst musste ein Baum wachsen, müssten sich die Verästelungen seiner Wurzeln und Fasern - jede eine Grenze zur nächsten - über die leere Seite erstrecken. Ein strahlender, starker Gleichungsbaum.
    Es war nicht einfach. Einmal fegte ich eine der Patronenhülsen vom Tisch und kroch auf dem Boden herum, um die wertvollen Ziffern wieder einzusammeln. Danach musste ich wieder von vorne anfangen, für den Fall, dass ich eine der Zahlen verloren hatte. Da ich schrecklich verspannt war - es fühlte sich an, als würden sich mir Eisenhaken in die Schultern bohren -, beschloss ich spazieren zu gehen. Steif vom langen Sitzen humpelte ich den Hügel hinab in den Wald und kam bald an den Teich.
    Das Ruderboot, das Stagg mit dem Fuß geschaukelt hatte, lag immer noch am Steg. Durch die Aste und Blätter der Bäume schien das Mondlicht und zeichnete Waben auf das weindunkle Wasser und den geriffelten Boden des Bootes. Es war immer noch ein düsterer Ort, doch jetzt verströmte er eine schöne Melancholie.
    Von den schwarzen Stämmen der Bäume her rief eine Eule und ließ die Luft erzittern. Aus einer Laune heraus stieg ich ins Boot. Ich löste die Leine, nahm die Ruder in die Hand und glitt langsam auf den mondfleckigen Teich hinaus. Mit jedem Ruderschlag, für den ich mich gegen das träge Wasser stemmte, verließ die Spannung meine Schultern, und die geistige Erschöpfung - wie ein Muskelkater im Kopf - verflog langsam.
    Jede Umrundung des Teichs glich einer
Tour d'Horizon
des Handwerkszeugs der Turbulenz, nicht nur der Zonen der Luft und des Wassers, in denen die Sonne den Ozeanen, Seen und Flüssen Dunst entzieht, der vom Wind ringsum verteilt wird, sondern auch der ungewissen Übergänge, wo Wirbel vermischender Gase der Vorstellung von Raum Bedeutung verleihen.
    Das Boot schwankte. Wieder war ich unschlüssig. Sobald man die Grenze überschreitet und weitere Überlegungen anstellt, beginnt man sich zu fragen - da die Erde verglichen mit der Galaxis nur ein winziger Punkt im Raum ist, und erst recht im ganzen All -, wo es alles enden wird.
    Ich brachte das Boot wieder in eine stabile Lage.
    Das Geräusch der Ruder, die ins Wasser sanken und sich wieder heraushoben, vermischt mit dem Knarzen der Dollen war wie eine Musik, die das langsame Lied meiner Gedanken begleitete. Obwohl ich mir bewusst war, dass ich auf der Bank eines Ruderboots saß und mich von Strudel zu Strudel schob, war mir, als wäre ich anderswo und könnte mich bei meinen Runden von oben betrachten. So, wie mich vielleicht die Eule auf dem Baum sah. Oder von unten aus der Unmenge des aquatischen Bakterienlebens. Oder von der Seite, wo jedes Mal ein Teichhuhn verschreckt rief, wenn ich vorbeikam. Oder von dem fernen Graben der Venus, aus dessen Tiefen womöglich eine völlig fremde Lebensform zusah.
    Ich lauschte. Allmählich, so wie eine Küste am Horizont auftaucht, kam ich zu der Erkenntnis, dass ich mich diesem Teich, den ich umrundete, aufzwang, wie die

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