Die Geometrie der Wolken
herüber und stellte das Tablett auf den Tisch, an dem ich arbeitete. Als sie mir ein Glas einschenkte, sah sie nach meiner Wetterkarte. »Woran arbeiten Sie?«
»An ziemlich komplizierten Zuständen in den oberen Luftschichten.«
»Ach, daran«, erwiderte sie. Sie ging zum Bett, setzte sich und strich sich den Rock glatt. »Wissen Sie, Wallace hatte einmal den Plan, die ganze Welt mit Wetterbeobachtern zu übersäen, die alle Daten aus den oberen Luftschichten an Rechner in seiner Vorhersagefabrik schicken.«
Damals verstand man unter einem »Rechner« noch einen Menschen mit einem Rechenschieber. Man hätte auch Mathematiker sagen können. Mich verwunderte damals aber ein anderes Wort, das sie verwendete. »Vorhersagefabrik?«, fragte ich.
»Ja, eine große Halle wie ein Theater, in dem all die Rechner, Männer wie Frauen, an ihren Berechnungen sitzen und mit dem Wetter Schritt halten, während sie die Daten per Telegramm hereinbekommen.«
»Das wären aber viele Telegramme.«
»Oder per Funk. Oder Telefon, auch wenn das ziemlich teuer wäre. Alle drei Stunden bekommt jeder der vierundsechzigtausend Rechner eine Nachricht aus seiner Ecke der Welt.«
»Vierundsechzigtausend Leute? In einem Raum?«
»Die alle gleichzeitig arbeiten, während das Wetter über den Globus zieht, ja.«
Ich spann die Phantasie weiter. »Das müsste ein verdammt großes Theater sein. Eher so etwas wie ein Fußballstadion.«
»Er hat sich etwas wie die Albert Hall vorgestellt, mit einem Dirigenten, der das Ganze beaufsichtigt.«
Sie stand auf und zeigte mit Handgesten, was sie sich vorstellte. »Auf die Wände ist eine Weltkarte gemalt: Die Arktis an der Decke, England auf der Galerie. Bei den oberen Rängen die Tropen. Am ersten Rang? Australien. Die Antarktis im Orchestergraben. Tisch für Tisch nimmt jeder Rechner die nach Typ aufgespaltenen Werte - Luftdruck, Temperatur, Luftfeuchtigkeit - seines Gebiets entgegen. Und bearbeitet sie nach der jeweiligen Gleichung. Verstehen Sie?«
»Mehr oder weniger.« Ich trank zögerlich einen Schluck meiner Limonade. Zu Recht, wie sich herausstellte. Sie schmeckte schrecklich bitter und chemisch. »Jeder Rechner übergibt die Lösung seiner Gleichung an seinen Nachbarn und so weiter.«
»Nein, nein, es ist viel besser. Auf jedem Tisch wird das Ergebnis der Rechnung auf eine Tafel geschrieben, wenn es fertig ist. Diese Tafeln werden von den Nachbarn und von einem höheren Mitarbeiter abgelesen, der die Arbeit jeder Region koordiniert und die Kommunikation des Systems durch Meldungen an den Dirigenten aufrechterhält.« Sie hielt inne. »Die einfachen Rechner tragen alle eine Uniform, um die Disziplin zu fördern - allerdings nehme ich nicht an, dass Wallace sich eine militärische vorstellt. Vielleicht eher etwas wie bei der Polizei, wobei die höheren Ränge Abzeichen tragen, um sie von den einfachen Rechnern zu unterscheiden. Niemand spricht, kommuniziert wird nur über Zettel.«
Ich brauchte eine Zeitlang, bis ich es alles verarbeitet hatte. Währenddessen erklärte Gill mit immer lebhafteren Gesten, wie der »Dirigent« die Informationen über das zukünftige Wetter koordinierte, während es nach Norden und Süden, Osten und Westen zog, wobei jede Strömung auf den Rängen der Vorhersagefabrik nachgezeichnet wurde.
Es war eine ziemlich absonderliche Vorstellung, bei der Menschen quasi wie Maschinen parallel arbeiten mussten, aber am schwierigsten kam mir die Frage der Darstellung vor.
Ich hakte nach. »Und wie will er die Variabilität der wirklichen Welt darstellen? Die unklaren Grenzen von Wolken, die Verdunstungsrate von Laubwerk, die Vortizität eines Wirbels verglichen mit dem eines Nachbarn? Ganz zu schweigen von den Milliarden anderen Dingen, die das Wetter beeinflussen.«
»Wallace hat Größen, Symbole für all das in die Gleichungen eingebaut. Für jeden einzelnen Aspekt. Selbst für die Unklarheit von Abgrenzungen. Ich glaube, er nennt es »Turbulivität«. Oder »Diffusivität«. Aber das nur nebenbei. All diese Zahlen, nach Größen aufgelöst, mit denen die Öffentlichkeit etwas anfangen kann - Wind, Regen, Temperatur -, werden schließlich veröffentlicht, aber das Ganze muss richtig organisiert sein, damit es funktioniert.«
Sie stellte sich in die Mitte des Zimmers. Wieder fiel mir ihre dralle Figur auf. »Aus dem Orchestergraben, der Antarktisregion, erhebt sich eine Säule. In einer Kanzel darauf steht der Dirigent. Seine Instrumente sind die menschlichen
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