Die gepluenderte Republik
Gier-Virus« –
manager-magazin.de
am 11. Dezember 2007.
»Lafontaines Linke profitiert von Gier der Reichen« –
Welt Online
am 19. Februar 2008.
Unter den zahllosen Erklärungen für die periodisch wiederkehrende Wirtschaftskrise – man denke nur an Karl Marx, John Meynard Keynes oder Friedrich August von Hayek – gehören zweifellos »Gier und Spekulation« zu den blödsinnigsten und verlogensten. Schließlich beruht unser gesamtes Wirtschaftssystem auf Eigennutz und Profitstreben.
»Gier ist die populärste Erklärung der Wirtschaftskrise und zugleich die rätselhafteste«, schreibt Mark Siemons in der
FAZ
. »Da wird dem Kapitalismus plötzlich als Versagen angekreidet, was bisher als der Grund seiner Überlegenheit galt: sein Zusammenklang mit jener Natur des Menschen, die ihren eigenen Nutzen sucht und dabei Kräfte entfesselt, die alle Grenzen zentral definierter Angemessenheit hinter sich lassen.« 6
Spätestens hier wird das grundlegende Dilemma des Kapitalismus deutlich.
Adam Smith sprach einigermaßen nachvollziehbar davon, dass der Fleischer seine Wurst nicht aus reiner Menschenliebe verkaufe, sondern weil er damit Geld für seinen Lebensunterhalt verdienen wolle. Aber was hält den Fleischer davon ab, Gammelfleisch zu verkaufen? Smith versuchte das Problem durch seine
Theorie of Moral Sentiments
zu lösen: Die Menschen seien im Grunde ihres Herzens frei nach Goethe »edel, hilfreich und gut«. Dies allerdings führt zu einem logischen Widerspruch, den die Wissenschaft auf den Namen »Adam-Smith-Problem« taufte. Der Kapitalismus fördert angeblich die gesellschaftliche Wohlfahrt, indem er egozentrisches Verhaltenbelohne. Andererseits erwarten wir von den somit belohnten Egoisten, dass sie sich eines bislang bestraften Altruismus besännen und aufgrund solcher Motive das Gemeinwohl förderten.
Die Neoliberalen – und nur das macht den Zusatz
Neo
plausibel – »lösten« dieses Problem, indem sie ein Menschenbild namens
homo oeconomicus
schufen, für den Rücksicht gegenüber Mitmenschen, Solidarität und Abgeben
irrational
sind, skrupellose, über Leichen gehende Raffgier aber
rational
. 7
Dies ist keine Fiktion: Sie begegnet uns gerade heute in jener gewissenlosen Spezies, die das Ausnehmen und Hereinlegen der Mitbürger als »rationales Wirtschaften« betrachtet und die mit entsprechend windigen Geschäften die Weltwirtschaft an den Rand der Katastrophe gesteuert hat.
Dieses Menschenbild vertreten auch zahlreiche Politiker, wie Roland Koch, wenn auch verquerer. Man dürfe Egoismus und Altruismus »nicht ausspielen, wie etwa mit dem Slogan ›Solidarität statt Ellenbogen‹ geschehen. Vielmehr bedingen diese Begriffe einander«, und so »liegt es auf der Hand, dass eine leistungsfähige soziale Marktwirtschaft ohne sie nicht fähig wäre« 8 .
Die unverfrorene Schlussfolgerung daraus könnte von Roland Koch sein, stammt aber vom früheren Chefethiker der Katholischen Universität Eichstätt, dem Volkswirtschaftsprofessor und Unternehmensethiker Karl Homann: Egoismus ist demnach die höchste Form der Solidarität; und Wettbewerb ist solidarischer als Teilen. Kurzum: Die Zehn Gebote sind als ökonomisches Kalkül zu betrachten. 9
»Christlich« – ohne diese Selbstbeschreibung kommt kaum ein Mitglied der Eliten von Politik und Wirtschaft aus – ist damit nur ein anderes Wort für »eigennützig« oder »marktwirtschaftlich«. Eine schönere Ode an die Gier ist schwer vorstellbar.
In seinem berüchtigten Buch
Das Ende der Geschichte
(1992)beschreibt der neokonservative US-Politologe Francis Fukuyama den Verlauf der geschichtlichen Evolution als gesetzmäßige und gottgewollte Verkettung von Ereignissen. Die Geschichte sei also keine zufällige Anhäufung von Umständen. In einer Art moderner Variante der Hegelschen Dialektik behauptet Fukuyama, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Fall der Berliner Mauer zu einer Schlussphase der politischen Systementwicklung geführt haben. Nun stehe der endgültigen weltweiten liberalen Demokratie nichts mehr im Weg.
Wäre dem wirklich so, könnte man angesichts von Guantanamo, Abu Ghraib und der unzähligen getöteten Frauen und Kinder in Afghanistan und im Irak nur noch hilflos »Na dann Prost Mahlzeit« seufzen.
Nun wäre es albern, den Hang der Menschen zum Egoismus generell zu leugnen. Das Eigennutzaxiom ähnelt sogar der Marxschen These vom Unternehmer als personifiziertem Kapital und ist – zumindest auf den Kapitalismus bezogen –
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