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Die gepluenderte Republik

Titel: Die gepluenderte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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Teich und unterzeichneten in Anwaltsbüros an New Yorks Fifth Avenue dicke Verträge. Bei der Rückkehr konnten sie ihren Bürgern strahlend von den Millionen berichten, die sie mit ihrer Cleverness für die Stadtkasse herbeigeschafft hatten.« 132
    Dieses Bäumchen-wechsle-dich-Spiel betrifft 600 Städte und staatliche Unternehmen in Westeuropa, in Deutschland etwa 150. Fast auf jedem Gebiet der öffentlichen Infrastruktur ließ man sich über den Tisch ziehen. Bis der US-Kongress 2004 das Steuerschlupfloch schloss und neue Verträge verbot, verscherbelten unter anderem Recklinghausen, Ruhr- und Wupperverband, Stuttgart, Bochum und Schwerin ihre Kanalisation an mehr oder minder zwielichtige US-Investoren und mieteten sie zurück. In Ulm, Böblingen und Wuppertal verkaufte man die Müllöfen, in Berlin, Leipzig und Köln die Messehallen, in Essen und Düsseldorf das Schienennetz, in zwei Dutzend Städten die Straßenbahn.
    Seit Beginn der Krise mutiert für die Stadtoberen die vermeintliche Gelddruckmethode zum Alptraum. Was die naiven Cleveren damals nicht erfuhren oder gar nicht so genau wissen wollten: CBL ist eine äußerst undurchsichtige Angelegenheit, eine sogenannte »strukturierte Finanzierung«. Die Verträge bestehen aus mehr als 1000 Seiten, enthalten eine strafbewehrte Geheimhaltungsklausel und wurden nicht ins Deutsche übersetzt. Zudem gibt es jede Menge Vertragspartner: Da ist zunächst der Investor, der eine Briefkastenfirma (»Trust«) in einer Steueroase gründet, der Treuhänder dieser Scheinfirma, zwei Darlehensbanken, die der Briefkastenfirma die Kredite in dreistelliger Millionenhöhe gewähren, zwei Schuldübernahmebanken, eine Depotbank und ein Versicherungsunternehmen. Alle haben ihre eigenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Anwälte. Und ganz am Rande gibt es noch die Stadt als Melkkuh.
    Eng damit verwandt ist das Ursprungsmodell: Die Stadt verkauft ihre Anlage für 99 Jahre und mietet sie bis zur ersten Kündigungsoption für 30 Jahre zurück. In Wahrheit ist die Stadt vom ersten Tag an aus allen Geldflüssen abgekoppelt. Der Kaufpreis – je nach Wert der Anlage zwischen 100 Millionen und 1,5 Milliarden US-Dollar – wird gar nicht ausgezahlt. Nur 4 bis 5 Prozent davon fließen als einmalige Barzahlung (»Barwertvorteil«) an die Stadt. Der Rest verschwindet unverzüglich bei zwei Schuldübernahmebanken und einer Depotbank. Von diesem Geld sollen Erstere im Namen der Stadt 30 Jahre lang die Leasingraten an die Briefkastenfirma des Investors auf den Cayman Islands überweisen, damit die Stadt die verkaufte Anlage weiter nutzen kann. Die Depotbank soll aus der ihr überwiesenen Summe genug erwirtschaften, damit die Stadt nach 30 Jahren die Anlage zurückkaufen kann.
    Bei Vertragsabschluss redet man den Stadtvätern ein, die »renommierten« Banken, Versicherungen und Investoren könnten gar nicht pleitegehen und existierten ewig. Gleichzeitig abersichern sich die Vertragspartner akribisch knallhart gegen jeden erdenklichen Ausfall ab. So muss die Stadt eine Versicherung abschließen, ist verpflichtet, ständig das Rating des Versicherers zu beobachten und ihn binnen 90 Tagen zu wechseln, wenn dessen Bonität sinkt. Viele CBL-Geschäfte versicherte übrigens der US-Branchenführer American International Group (AIG), dessen Rating in den Keller ging, nachdem die US-Regierung ihn nur mit Millionen an Steuergeldern vor dem Ruin bewahrte.
    Genauso müssen die Städte das Rating der drei Treuhänderbanken verfolgen. Wenn deren Bonitätseinstufung durch die Rating-Agenturen Moodys, Standard & Poors und Fitch sich verschlechtert, müssen die Städte auch die Bank wechseln.
    Diese kostspieligen »Umstrukturierungen« kosten zum Beispiel den Ruhrverband – der die Kläranlagen verkaufte – jetzt schon 4,5 Millionen Euro und die
Bodensee-Wasserversorgung
mit 180 angeschlossenen Gemeinden – die das Trinkwassernetz abgab – sogar »mehr als 10 Millionen Euro«, wobei die Durchführung streng geheim ist. So gaben die Städte Wuppertal und Recklinghausen bekannt, dass sie »den Austausch von Finanzinstituten vorbereiten«, aber »Namen und weitere Details entsprechend den vertraglichen Vertraulichkeitsverpflichtungen« nicht nennen dürfen. Allen Hiobsbotschaften zum Trotz machen manche Kämmerer in Zweckoptimismus. Die Gelder seien in US-Staatsanleihen angelegt und lägen »sicher im Depot«. Dabei werden bei diesen »strukturierten Finanzierungen«, ähnlich wie bei den faulen

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