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Die gepluenderte Republik

Titel: Die gepluenderte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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dieser Situation leisten sich die Lübecker Entsorgungsbetriebe die Anmietung von zwei Toiletten am Marktplatz für nicht weniger als 130 000 Euro im Jahr. Hinzu kommen Reinigungsund Wartungskosten. Nur zum Vergleich: Bei der luxuriösen Neugestaltung der Obertrave wurde eine ebenfalls hochmoderne Toilettenanlage für 270 000 Euro neu errichtet. Auf Deutsch: Schon mit zwei Jahresmieten hätte man einen kompletten und an die historische Architektur angepassten Neubau finanzieren können. 139
     
    Vergammelnde Gebäude und zu wenig Personal im Bildungsbereich, Herunterfahren des Kulturangebots des »Volkes der Dichter und Denker« auf Dschungelcamp-Niveau: Das Ganze bildet einen Frontalangriff auf die Lebensqualität der Bürger. Wenn öffentliche Parks, Sportplätze, Festhallen, Bibliotheken verrotten oder gleich geschlossen werden müssen, dann werden sich hier nicht nur die Senioren zunehmend unwohl fühlen. Insofern treffen Emigranten-Soaps wie »Goodbye Deutschland! – Die Auswanderer« des Senders Vox bei all ihrer unterirdischen Qualität durchaus den Zeitgeist: »Auswanderung light« erleben wir ja bereits in Gestalt der Flucht der jungen, begabten, gebildeten und im positiven Sinne ehrgeizigenFrauen und teilweise auch Männer aus trostlosen ostdeutschen Gemeinden in Richtung Westen.
    Hinzu kommt die Privatisierung: Um kurzfristig an Geld zu kommen, verhökern die Kommunen pro Jahr öffentliches Eigentum für gut fünf Milliarden Euro: Wasserversorgung oder Straßenreinigung, Kliniken oder Müllabfuhr, Messehallen oder Busverkehr, Wohnungen oder Schulhausbau an private Investoren. Nun führen schon allein gesunder Menschenverstand und Ehrlichkeit zur Überlegung, dass gerade die raffgierigen Konzerne niemals irgendetwas kaufen würden, was nicht satte Profite verspricht. Wieso also sollten sie angeblich marode Staatsbetriebe übernehmen. Das Argument ist an Idiotie und Frechheit kaum zu überbieten: Politiker und staatliche Manager hätten keinen Schimmer von Unternehmensführung, private dagegen die betriebswirtschaftliche Weisheit mit Löffeln gefressen. Nichts gegen die These von der Stümperei in der Politik, aber wäre der Unterschied zu den Privaten so groß: Wieso werden dann Politiker und staatliche Manager rudelweise von der Privatwirtschaft mit Kusshand genommen? Schieben sie eine ruhige Kugel und dilettieren fröhlich vor sich hin, solange sie – formal – für das Volk arbeiten, und wachsen schlagartig über sich hinaus, sobald sie für das leistungslose Einkommen von Milliardären schuften? Fest steht: Die horrenden und alle Grenzen von Verhältnismäßigkeit und Anstand sprengenden Gewinne von E.on, Deutscher Bank und Co. könnten – wären es Staatsbetriebe – genauso gut den Bürgern zugutekommen. Und gerade weil diese Überlegung so einleuchtend ist, wird sie von der neoliberalen Gegenseite meist nur mit wutschnaubenden Ausfällen à la Guido Westerwelle beantwortet, für den ja schon ein Mindestlohn bei der Post »Planwirtschaft wie in der DDR, nur ohne Mauer« 140 darstellte.
Die verhasste »bankenfeindliche« Alternative
    Dass Gemeinden durch die Finanzkrise auch ohne kriminelle Zockereskapaden in die Bredouille kommen können, zeigt das Beispiel Quickborn im »Speckgürtel« von Hamburg. Vor allem wegen des Wegbrechens der Gewerbesteuer rechnet man mit einem jährlichen Minus von 1,8 Millionen Euro und bis 2012 mit einem Schuldenberg von 41 Millionen.
    Aber anders als andere Bürgermeister bezog Thomas Köppl (CDU) die Bevölkerung mit ein. 500 der 20 000 Einwohner kamen zur Bürgerstunde und geizten nicht mit Vorschlägen zum Abbau ihrer eigenen Lebensqualität: Man könne die Temperatur im Freibad um drei Grad senken, die Hausdächer für Solaranlagen verpachten, mehr Gebühren für die Volkshochschule nehmen oder keine Weihnachtsbeleuchtung mehr aufhängen.
    Der Clou aber war die Idee, dass statt den kreditblockierenden oder viel zu teuren Banken die Bürger selbst zu Kreditgebern ihrer Gemeinde werden sollten. Gesagt, getan, und keine Woche später waren schon vier Millionen überwiesen. Mindestens 5000 Euro sollte ein Bürgerdarlehen betragen, und nach einem Jahr zahlt die Stadt das Geld mit drei Prozent Zinsen zurück. Weil die Zinsen nun in die Taschen ehrlicher Bürger statt in die der Banken fließen, schäumten die üblichen Verdächtigen vor Wut. »Zu viel Bürokratie«, moserte der
Bund der Steuerzahler;
und der
Bundesverband Deutscher Volks- und Raiffeisenbanken
drohte

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