Die geprügelte Generation
sich das dadurch, dass über Jahrhunderte hinweg die Gesellschaft hier generell autoritär erzogen wurde. Dass die Macht bewundert worden ist«, erläuterte mir der Berliner Erziehungswissenschaftler Ulf Preuss-Lausitz Adornos Position. »Und immer, wenn man die Macht bewundert, hat man ja häufig eine Radfahrer Einstellung. Nach oben buckeln und nach unten treten. So wie Heinrich Mann das in seinem Roman »Der Untertan« am Beispiel von Diederich Heßling beschrieben hat. Der liebt den starken Vater, verachtet gleichzeitig seine Mutter, die sich dem Vater unterwirft. Er liebt den Vater, obwohl der ihn schlägt. Er selbst schlägt dann die Arbeiter seines Vaters und verachtet sie gleichzeitig.«
»Man muss die Mechanismen erkennen, die die Menschen so machen, dass sie solcher Taten fähig werden«, schrieb Adorno und meinte mit solchen Taten die Greuel und Massenmorde im sogenannten »Dritten Reich«, zu deren Umsetzung es Schreibtischtäter und Handlanger bedurft hatte. Um so etwas künftig zu verhindern, müsse man ein Bewusstsein für die Mechanismen erwecken, die diese Menschen formten. Die sie ihren besinnungslosen Hass und ihre Angriffswut an wehrlosen Menschen austoben ließen.
»Solcher Besinnungslosigkeit ist entgegenzuarbeiten. Die Menschen sind davon abzubringen, ohne Reflexion auf sich selbst nach außen zu schlagen. Erziehung wäre sinnvoll überhaupt nur als eine zu kritischer Selbstreflexion. Da aber die Charaktere insgesamt, auch die, welche im späteren Leben die Untaten verübten, nach den Kenntnissen der Tiefenpsychologie schon in der frühen Kindheit sich bilden, so hat Erziehung, welche die Wiederholung verhindern will, auf die frühe Kindheit sich zu konzentrieren«.
Auf die frühe Kindheit konzentrierte sich in der Tat die Erziehung vor Auschwitz, und zwar schon lange zuvor. Bedauerlicherweise genau in der Art, vor der Adorno so entschieden und so häufig warnte.
Wer sein Kind nach den Vorstellungen eines Tyrannen wieAdolf Hitler erzog, erreichte das genaue Gegenteil: »Ich will keine intellektuelle Jugend«, hatte Hitler gesagt. »Aber Beherrschung müssen sie lernen. Sie sollen mir in den schwierigsten Proben die Todesfurcht besiegen lernen […] Das ist die Stufe der heroischen Jugend. Aus ihr wächst die Stufe des Freien, des Menschen, der Maß und Mitte der Welt ist, des schaffenden Menschen, des Gottmenschen.«
Martin Bormanns ältester Sohn, der spätere Priester, sagte einmal: »Wenn ich das heute den jungen Menschen vorlese und ihnen erzähle, dass wir vom elften Lebensjahr an praktisch Hitlers Eigentum waren, und dass wir, nach seinen Worten, durch die Entwicklung vom Pimpf über die Hitlerjugend und den Arbeitsdienst bis zur SS, SA und zur Wehrmacht für immer sein Eigentum bleiben würden, können sie sich vorstellen, wie das gewesen ist.«
4. Kapitel
AUS DER NOT GEBOREN
Die Spuren der Nazis und des Krieges
Warum klatschte Monikas Mutter ihrer kleinen Tochter aus nichtigem Anlass den nassen Aufnehmer um die Ohren? Weshalb benutzten Sonjas Eltern so häufig den Rohrstock? Was veranlasste Detlevs Mutter, die Mahlzeiten ihres Sohnes mit einem Wecker zu kontrollieren, und – wenn die Suppe nicht in der vorgeschriebenen Zeit ausgelöffelt war – auf seinem Po so manchen Kochlöffel zu zerbrechen?
»Eltern schlagen ihre Kinder, weil sie sie lieben und nur so glauben, sie vor Gefahren schützen zu können.« Diese verblüffende Antwort bekam ich von der US-amerikanischen Psychologin und Bindungsforscherin Patricia Crittenden, einer international gefragten Expertin zum Thema Gewalt in der Familie, auf deren Thesen ich noch ausführlich eingehen werde. Viele der anderen Experten, die ich um Erklärungen bat, führten die Wutausbrüche, die regelrechten Prügelexzesse und Misshandlungen von Kindern durch die Eltern in den 50er und 60er Jahren auf zwei Ursachen zurück:
Zum einen benannten sie die Schrecknisse des »Dritten Reiches,« die Brutalität des Krieges, die Bombennächte, Hungersnöte, Fluchtentbehrungen und eigenen Gewalterfahrungen, die diese Eltern schwer traumatisiert hatten und sie ihren Frust und ihre Wut an den Kindern ausagieren ließen. Zum anderen führten die Experten den brutalen Umgang der damaligen Elterngeneration mit ihren Kindern darauf zurück, dass sie selbst in ihren Familien meist schwer gezüchtigt worden waren. Dass sie gar kein anderes Erziehungskonzept kannten, als die schon seit Generationen erprobte körperliche Gewalt gegenüber ihrem
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