Die geprügelte Generation
Nachwuchs.
Prügelnde Eltern bauten dadurch, dass sie ihren Kindern mit Gewalt begegneten, Stress ab. Sie versuchten es nach Ansicht desTraumatherapeuten Arne Hofmann jedenfalls. Wenn sie selbst zu Hause geprügelt worden sind, so erklärte er mir, »dann klinkt in bestimmten Situationen die Vernunft bei vielen Leuten aus. Wir nennen das Impulskontrollstörung. Die Leute fangen auf eine nicht vernünftige, irrationale Weise an, die Muster, die sie zum Teil selbst erlebt haben, nachzuvollziehen. Das sind ganz, ganz häufig unglückliche, tragische Konstellationen.« Seiner Erfahrung nach gibt es nur eine sehr kleine Gruppe tatsächlich sadistisch veranlagter Menschen, die Lust und Spaß daran haben, jemanden zu quälen. »Die meisten der Menschen, die schlagen, tun das aus Verzweiflung, weil sie den Stress nicht regulieren können, weil sie unter Druck kommen, weil sie psychisch dem nicht standhalten können.«
Will man mehr über die damaligen Väter wissen, die zu Hause ein so eisernes Regiment führten, dann fragt man am besten bei Sabine Bode nach. Die Kölner Autorin hatte sich zunächst in ihren Büchern mit den sogenannten »Kriegskindern« befasst. Nun ist im August 2011 bei Klett-Cotta ihr neuestes Buch mit dem Titel »Nachkriegskinder – Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter« erschienen. Darin beschreibt sie das Leben ehemaliger Wehrmachtssoldaten und Kriegsgefangener, also das der Väter der hier beschriebenen Kinder.
»Diese Männer hatten acht, neun oder zehn Jahre überhaupt keinen eigenen Willen gehabt. Sich nicht frei entscheiden können. Sich immer unterordnen oder einfügen müssen«, so Sabine Bode in einem Interview mit mir für dieses Buch. Manche kamen weit nach Kriegsende erschöpft und ausgelaugt zurück in die zerstörten Städte, zu Frauen, die während ihrer Abwesenheit selbstständig ihr Leben gemeistert hatten. Und von denen erwartet wurde, dass sie widerspruchslos zurück an Heim und Herd kehrten, dem Vater den Platz als Familienoberhaupt wieder frei machten. Ein Wechsel, der an sich schon genug Zündstoff für Zank und Streit, für Frust und Enttäuschung bot.
Paare, die eigentlich ausreichend damit beschäftigt gewesenwären, sich in einer neuen Zeit, einem neuen Leben zurechtzufinden, wurden zu Eltern. »Kriegseltern«, wie Sabine Bode sie in ihrem Buch »Die vergessene Generation – Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen« bezeichnet. Erziehungswissenschaftler Ulf Preuss-Lausitz nennt diese Eltern »eine schweigende Kriegsgeneration«, die sehr wohl erkannte, »dass es falsch gewesen war, wie sie sich verhalten hatten. Aber sie wollten nicht darüber reden. Weil sie nicht in der Lage waren, über sich selbst zu reden.« Vor allem die Männer schwiegen beharrlich über das, was sie im Krieg erlebt, was sie dabei gefühlt hatten. Sprachen mit niemandem über ihre Enttäuschungen und Verletzungen. »Das tat man nicht. Erwachsene redeten nicht mit Kindern über ihre Gefühle«, erklärte mir Sabine Bode. Wenn über den Krieg gesprochen wurde, gaben die Männer nur Anekdotisches, Lustiges darüber preis, wie sie es als »Schütze Anton dem Feind gezeigt hatten. Aber hallo! Ha, ha, ha!«
Vor dem Hintergrund dessen, was diese Eltern erlebt hatten, konnten sie die Lebendigkeit und Spontaneität ihrer Kinder nicht gut aushalten. Es war, so Bode, vor allem für die Männer »schwierig zu sehen, wie ihre Kinder sich frei entwickelten. Wenn sie plötzlich sahen, meine Güte, so hätte ich werden können, wenn ich in einer anderen Zeit gelebt hätte. Wenn ich dem Krieg hätte entgehen können. Aber die wurden nun mal mit zwanzig da rein geworfen in diesen Krieg und konnten nicht mehr abhauen.« Vom Kopf her, meint Bode, hatte sich so ein Vater sicherlich vorgenommen, mein Kind soll es besser, soll eine glückliche Kindheit haben. Vom Gefühl her konnte er das nicht aushalten. Konnte dem Kind die Freiheit, die Leichtigkeit nicht gönnen. »Das ist alles verdammt schwierig gewesen. Und da ist viel Frust entstanden. Und da ist auch viel Distanz entstanden zu den Kindern.«
Die Lebendigkeit dieser Kinder war deshalb für viele dieser Väter eine regelrechte Provokation, musste daher sozusagen ›im Keim‹ erstickt werden. Eine der Möglichkeiten, dies zu tun, wareine gehörige Tracht Prügel. Die hatte Tradition. Sie war schlichtweg der einfachste Weg, Kinder ruhig zu stellen. Sabine Bode glaubt gar nicht, dass es so etwas wie eine logische Fortsetzung der Gewalttätigkeit im Krieg
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