Die geprügelte Generation
scheinbare Verbundenheit wird hergestellt über die Uniformierung.« 19
Auch nach der Befreiung von der NS-Diktatur ging es in der beginnenden Demokratie weiter mit Haarers Erziehungsratschlägen. Der Umgang vieler Eltern mit ihren Kindern in den beiden ersten Nachkriegsjahrzehnten unterschied sich oftmals kaum von den Erziehungsmethoden der Nazis. Der von Haarer propagierte Erziehungsstil hatte weiterhin Bestand, ihre Bücher wurden immer noch publiziert und gelesen – bis Anfang der 80er Jahre, bei einer Gesamtauflage von über einer Million Exemplare. Noch immer waren die Grundlagen der schwarzen Pädagogik überwiegendKonsens, die ihre Gewalt damit gerechtfertigt hatte, dass Kinder chaotisch sind, bösartig und deshalb gezähmt werden müssen – zu ihrem eigenen Besten.
»Heute weiß man aus Bindungsforschungen, dass das überhaupt nicht der Fall ist«, erläuterte mir Therapeut Arne Hofmann, »dass Kinder sehr feinfühlig sein können. Kinder brauchen zwar klare Strukturen. Aber doch nicht diese von Frau Haarer empfohlene körperliche oder seelische Gewalt, wonach das Kind, wenn es schreit, einfach mal in einen dunklen Raum geschoben wird, solange, bis es aufhört.«
Erziehung nach Auschwitz
Menschen wie die Kammersängerin Renate Holm haben an den Auswirkungen ihrer strengen Erziehung nur mit sich selbst gelitten. Was für sie sicherlich schlimm genug war. Andere wiederum trugen ihren Frust, ihre eingeprügelte Knechtschaft und die damit verbundene Demütigungsbereitschaft nach außen – mit schrecklichen Folgen. Niemand hat dies besser und auch mahnender beschrieben als der Philosoph Theodor W. Adorno. Er sprach vom sogenannten autoritären Charakter, der autoritären Persönlichkeitsstruktur und meinte damit einen Menschen, der nach unten tritt und nach oben buckelt. In seinen Rundfunkgesprächen 1968 und 1969 erläuterte Adorno noch einmal sein Lebensthema, wonach die Fortdauer der Barbarei in der Erziehung wesentlich auf eben dem Autoritätsprinzip basiere, mit dem zwangsläufig das Recht auf Züchtigung einhergehe. Ein Recht, so Adorno, das »bekanntlich in deutschen Landen immer noch zu den heiligsten Gütern zählt, an welche die Menschen so ungern rühren lassen.« 20
Der Philosoph hat in seinen Gedanken dazu, wie eine »Erziehung nach Auschwitz« auszusehen habe, gegen diese von Hitler und Konsorten angepriesene Härte angeschrieben. Dabei zitierteer Wilhelm Boger, einen SS-Oberscharführer, der in Auschwitz wahllos Menschen erschossen und gefoltert hatte, wofür er im Auschwitz-Prozess Anfang der 60er Jahre zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Boger hatte während »der Auschwitz-Verhandlung einen Ausbruch, der gipfelte in einer Lobrede auf Erziehung durch Disziplin und Härte. Sie sei notwendig, um den ihm richtig erscheinenden Typus vom Menschen hervorzubringen«, schrieb Adorno in den 60er Jahren.
»Dieses Erziehungsbild der Härte, an das viele glauben mögen, ohne darüber nachzudenken, ist durch und durch verkehrt. Die Vorstellung, Männlichkeit bestehe in einem Höchstmaß an Ertragen können, wurde längst zum Deck-Bild eines Masochismus, der – wie die Psychologie dartat – mit dem Sadismus nur allzu leicht sich zusammenfindet. Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte, die er verdrängen musste. Dieser Mechanismus ist ebenso bewusst zu machen wie eine Erziehung zu fördern, die nicht, wie früher, auch noch Prämien auf den Schmerz setzt und auf die Fähigkeit, Schmerzen auszuhalten. Mit anderen Worten: Erziehung muss Ernst machen mit einem Gedanken, der der Philosophie keineswegs fremd ist: dass man die Angst nicht verdrängen soll. Wenn Angst nicht verdrängt wird, wenn man sich gestattet, real so viel Angst zu haben, wie diese Realität Angst verdient, dann wird gerade dadurch doch manches von dem zerstörerischen Effekt der unbewussten und verschobenen Angst verschwinden.«
Adorno hat sich gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass im »Dritten Reich« die Leute so begeistert Hitler zujubelten. Wieso war »der Führer« so eine faszinierende Figur für viele Menschen, die im Alltag ganz normale, freundliche, reizende Personen waren?»Erklärt hat Adorno
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