Die geprügelte Generation
Großmutter schickte.
Beide hatten sich nach dem Krieg erst kennen gelernt. Über ihre komplizierte, so wenig zueinander passende Vergangenheit, wurde in der Familie eisern geschwiegen. Zumindest als Theresia noch klein war, als sie merkte, dass irgendetwas bei ihr zu Hause anders war als bei den anderen Kindern. »Das war ein unangenehmes Thema. Ein Thema, das tabu war. Mir wurde als Kind nicht gesagt, dass ich Halbjüdin bin. Später wurde das damit begründet, dass es besser gewesen sei, es nicht zu wissen. Natürlich ist das auch eine sehr düstere Familiengeschichte, davon sollte ich wahrscheinlich verschont bleiben. Für meine Eltern war es jedenfalls etwas, über das man nicht sprach.«
Der eiserne Vorhang lüftet sich
Doch irgendwann kamen Risse in den eisernen Vorhang, der sich vor die Vergangenheit der Eltern gezogen hatte. Als Theresia in der Pubertät war, in den 70er Jahren, wurde die Familiengeschichte Thema. Ihren Vater schien die Frage keine Ruhe zu lassen, ob die Mutter nicht doch etwas von der Deportation der Juden mitbekommen hatte. »Da war’s dann beim Mittagessen immer wieder Thema. Mein Vater warf meiner Mutter vor, daskann gar nicht sein, dass man nicht gemerkt hat, wie die Juden deportiert wurden. Und meine Mutter hat immer gesagt, doch, ich habe es nicht gemerkt. Ich war mit meiner Kunst beschäftigt, hatte keine Ahnung.«
Theresia glaubt, dass ihr Vater eine sehr unglückliche, belastete Kindheit gehabt hat. Sicherlich auch deshalb, weil er als jüdisches Kind mit seinen Eltern fliehen musste. Mit einer strengen Mutter. Später mit einem äußerst strengen Stiefvater. Zuhause war er seiner etwas älteren Frau, Theresias Mutter, unterlegen. »Er wollte immer beweisen, dass er die Zügel in der Hand hat, wollte Stärke demonstrieren.« Und tat das auf dem Rücken seiner kleinen Tochter. Theresia weiß, dass vieles von dem, was er und ihre Mutter ihr angetan haben, an Sadismus grenzt. Doch durch die Lebensgeschichte ihres Vaters kann sie dies verstehen. Dadurch, so bedauert sie, hat sie es aber auch nie geschafft, richtig zornig ihm gegenüber zu sein. »Ich hab’s halt immer irgendwie verstanden. Verstehe es auch jetzt noch.«
Beschämen und Verhöhnen
Theresia wurde von ihren Eltern nicht nur lieb- und achtlos behandelt. Sie wurde auch beschämt und verhöhnt. Als besonders schlimm hat sie ein Ereignis in Erinnerung, dass sie als einen »großen Vertrauensbruch« von Seiten ihres Vaters empfand. Der hatte ein ausgesprochenes Faible für technische Geräte. Er fotografierte gern und machte Tonbandaufnahmen. Eines Tages war die kleine Theresia, wie so häufig, allein mit dem Vater und hatte wieder einmal in die Hose gemacht. Der stellte sie zur Rede, machte ihr klar, wie enttäuscht die Mutter sein werde, wenn er es ihr sage. Woraufhin das kleine Mädchen bettelte und flehte, er solle der Mutter doch nichts davon erzählen. Sie werde so etwas nie wieder tun. Werde für die Mama das Abendessen zubereiten. Ein Gedicht auswendig lernen. »Also, ich habe viele Versprechungen gemacht.« Der Vater schien nachzugeben, versprach, es der Mutterzu verschweigen. Als dann die Mutter nach Hause kam, »wurde unter großem Hallo ein Tonband abgespielt, auf dem er das ganze Gespräch aufgenommen hatte. Auf dem zu hören war, wie ich mich gewunden habe. Wie ich bettelte. Was ich versprach. Das wurde vorgespielt. Und da hab ich wohl, weil ich noch sehr klein war, merkwürdige Redewendungen benutzt, die wirklich lustig waren.« Dieses Tonband hatte für die Erwachsenen einen großen Unterhaltungswert. Wurde auch Freunden und Besuchern vorgespielt. »Immer, immer wieder dieses Band.« Alle fanden es urkomisch, lachten und amüsierten sich. »Das hat mir sehr viel ausgemacht.«
Irgendwann zeigte der Vater ihr Fotos, auf denen die kleine, sechsjährige Theresia zu sehen war. »Und da sieht man, wie ich weine. Man sieht richtig, wie die Tränen kommen. Wie die Augen voll werden. Wie sie dann runterrinnen, die Tränen. Später habe ich meinen Vater gefragt, warum hast du mich denn nicht getröstet? Da antwortete er mir: Das Bild war so schön. Das Licht war so gut. Ich wollte das aufnehmen.« Seitdem mag Theresia nicht mehr fotografiert werden. Und Tonbandaufnahmen kann sie auch nicht leiden.
In das Repertoire seelischer Grausamkeiten, die ihre Eltern an ihr exerzierten, gehörte für sie die Unmöglichkeit, irgendetwas durch eine Entschuldigung wiedergutmachen zu können. Häufig, wenn sie gegen eine der
Weitere Kostenlose Bücher