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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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helfen, wenn du das schaffst. Danach fühlst du dich wohler. Ich hab’s dann gemacht und gemerkt, sie gleitet mir fast aus der Hand. Außerdem kann ich das einfach nicht. Trotzdem, ich konnte nicht sagen, ich ekle mich vor dir. Das habe ich nicht über die Lippen gebracht.«
    In einer letzten Kraftanstrengung hat Theresia kürzlich versucht, mit der Mutter wieder ins Reine zu kommen. Endlich die Nähe zu ihr herzustellen, nach der sie sich als Kind immer gesehnt hat und die heute von der Mutter eingeklagt wird. Sie hatte die Vision eines im Alter nachgeholten Familienlebens, mit gemeinsamen friedlichen Mahlzeiten. Doch daraus wurde nichts. Als ihre inzwischen hinfällige Mutter aus ihrer 500 Kilometer von Theresias Wohnort entfernt liegenden Stadt auf das Grundstück der Tochter zog, endete dieser Ausflug in Enttäuschung und Vorwürfen. »Wieder war es nie genug was ich machte für meine Mutter«, sagt Theresia. Die hatte erwartet, dass die Tochter ihre gesamte Freizeit mit ihr verbringen werde. War eifersüchtig, auf Freunde, den Enkel, die Arbeit, der Theresia viel Zeit widmet. So hatte ihre Tochter plötzlich wieder das Gefühl, »es nicht schaffen zu können, sie zufrieden zu stellen.«
    Wie groß war ihre Enttäuschung, als die Mutter sich nach einer Weile entschloss, wieder zurück in ihren alten Wohnort zu ziehen. »Das fand ich ganz schlimm und auch ganz unvernünftig. Weil ich weiß, dass sie dort allein nicht wirklich zurechtkommt. Aber sie ließ sich das nicht mehr ausreden. Und ich habe den ganzen Umzug für sie gemacht. Ich habe ein bisschen Zorn empfunden,aber nur ein bisschen. Weil ich kapiert habe, dass man einen alten Baum nicht verpflanzen soll.« Außerdem hat Theresia zum ersten Mal verstanden, dass gemeinsame Mahlzeiten, Familienleben, dies alles für ihre Mutter keine Bedeutung hatte, früher nicht und heute auch nicht. »Sie hat mir gesagt, ach diese gemeinsamen Mahlzeiten find ich gar nicht schön. Und da ist mir aufgefallen, dass sie das wahrscheinlich nie schön fand. Und dass das nur mein Wunsch war. Die Sehnsucht nach so einer heilen Welt. Aber die konnte ich auch diesmal nicht verwirklichen. Das hat nicht geklappt.«
    Als der Umzug der Mutter endlich erledigt war, lag Theresia ermattet in ihrem Haus. Von schweren Vorwürfen und Depressionen heimgesucht. Enttäuscht, ausgelaugt. Seitdem versucht sie sich zurückzuhalten, nicht mehrmals täglich die Mutter anzurufen, um sich zu erkundigen, wie sie denn nun klar komme. Weil sie merkt, dass ihr das gar nicht gut tut. »Ich bin ihr jetzt nicht böse. Wir sind nicht im Streit auseinander. Aber die viele Telefoniererei, die lasse ich jetzt sein.«

8. Kapitel
PERSIANER, NIERENTISCH UND KALTE ENTE
    Ein Tischgespräch über Petticoat und Rock’n Roll
    An einem wunderschönen Herbstabend sitzen sieben Erwachsene um einen Holztisch. In der guten Stube eines Bauernhauses mitten im Bregenzer Wald bollert ein Kachelofen, verbreitet wohlige Wärme. Alle sind um die 60 Jahre alt. Sie gehören somit zu der Generation, die Kochlöffel, Rohrstöcke und Teppichklopfer meist noch selbst zu spüren bekam. Vor ihnen stehen Obstler und Kräuterschnaps, von Bauer Greber aus Schwarzenberg selbstgebrannt. Die drei Frauen und vier Männer verbringen hier gemeinsam eine Woche Urlaub. Ellen, Margot, Erich und Wini sind schon seit Jahrzehnten befreundet, kommen jeden Herbst in dieses mit verblichenen braunen Holzschindeln gedeckte Haus. Henning, Jochen und ich sind zum ersten Mal hier. Angereist sind wir aus Trittau, Köln, Karlsruhe. Tagsüber unternehmen wir ausgedehnte Bergwanderungen, kehren ein auf 1 600 bis 2 000 Meter Höhe in Berghütten und Alprestaurants, verdrücken Germknödel mit Vanillesauce und Mohnstreusel, dazu trinken wir frische Buttermilch, Almdudler oder Mohrenbier. Abends wird gekocht, Hauswurst mit Kraut, Nudeln, Käsespätzle. Anschließend gibt’s Bergkäse. Die Stimmung ist gut.
    Ich hatte darum gebeten, man möge sich doch einmal gemeinsam an die 1950er und 1960er Jahre erinnern, alles erzählen, was einem so einfalle – während ich ein Aufnahmegerät mitlaufen lasse. Es sollte ein Stimmungsbild über die Zeit entstehen, in der sie alle groß geworden sind, von der dieses Buch handelt. Die Sozialarbeiter, der ehemalige, inzwischen in Rente lebende Arzt, die Suchttherapeutin, die Journalistin und der arbeitslose einstige Kleinunternehmer waren spätestens seit der Studentenrevolte in den 1968er Jahren fast alle politisch engagiert, haben

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