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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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Flüchtlingskinder hätten nun mal Läuse, würden klauen und Krankheiten übertragen. »Zu der Zeit wurden wir von Mitschülern regelrecht gejagt. Flüchtlingskinder verdreschen galt als angesehene Sportart.«
    Krokodillederne Handtaschen und Persianermäntel
    Das beginnende Wirtschaftswunder kündigte sich an. Krokodilleder-Handtaschen wurden demonstrativ als Zeichen des Wohlstands herumgetragen. Und wer es wirklich zu etwas gebracht hatte, der kaufte seiner Gattin einen Nerz. Frauen bettelten ihre Männer an, ihnen doch das weibliche Standard-Statussymbol par excellence, einen Persianer-Mantel oder wenigstens ein Persianer-Jäckchen, zu schenken. Hennings Vater hatte offenbar sehr gut verstanden, welche Bedeutung ein Persianer für die Frauen damals hatte. 1951 war Hennings Familie so abgebrannt, dass sie sich keinen Weihnachtsbaum leisten konnten. »Es war überhaupt kein Geld da. Schon damals neigte mein Vater dazu, in solchen Situationen zu sagen, na dann muss ich dem Glück mal etwasnachhelfen. Er spielte Toto und Lotto.« Wenige Tage vor Weihnachten war ihm das Glück dann wirklich hold: Er gewann 2.000 Mark, für die damalige Zeit ein kleines Vermögen. »Und was hat er damit gemacht? Er hat meiner Mutter einen Persianer-Mantel gekauft. Wir hatten nichts, noch nicht einmal einen Tannenbaum. Es gab kein Weihnachtsessen und der kauft seiner Frau einen Persianer!« Ja, ja, nicken alle, genauso war das damals.
    Wenn Väterchen vom Krieg erzählt
    Als in Erichs Familie 1963 der erste Fernseher angeschafft wurde, zwang sein Vater ihn geradezu, gemeinsam eine Serie über das sogenannte »Dritte Reich« anzuschauen. Die Botschaft, die er dem Sohn dabei vermitteln wollte, lautete:«Hab acht. Ich bin als 17-Jähriger Kriegsfreiwilliger geworden. Und möchte nun, dass mein Sohn hieraus lernt und niemals eine Waffe in die Hand nimmt.« Eine Botschaft, die bei Erich ankam: Er wurde Wehrdienstverweigerer, sehr zur Freude seines Vaters.«Das war selbstverständlich.«
    Bei Henning lief die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit seiner Eltern ganz anders ab. »Es war das völlige Gegenteil von dem, was Erich erlebt hat.« Hennings Vater war überzeugter Nationalsozialist gewesen, Mitglied der Waffen-SS, und hatte es unter den Nazis immerhin zu einem hohen Beamtenposten in der Kommunalverwaltung gebracht. »Was ich ihm nicht verzeihen kann ist, dass er es später, als sich gezeigt hat, wie verbrecherisch das ganze Regime war, nie in seinem Leben geschafft hat, sich davon zu lösen.« So wuchs Henning in »einem Wust von nationalsozialistischem Gedankengut auf. Mit unglaublichen Sprüchen«.
    Sein Vater verkündete zum Beispiel schamlos am Mittagstisch, er verstehe überhaupt nicht, warum sich alle so über »das Vergasen der Juden« aufregten. Immerhin werde die in den USA verhängte Todesstrafe doch auch mithilfe von Gas vollstreckt, undzwar vor allem deshalb, weil dies so menschlich sei. »Solche Sprüche, mit denen bin ich aufgewachsen. Tagtäglich. Und dieses Gebet, das wir jeden Mittag vor dem Essen sprechen mussten, zehn, fünfzehn Jahre lang: Wer nicht schafft, soll auch nicht essen. / Lass uns Herr das nie vergessen. / Lass uns alle groß und klein, / immer treu am Werke sein.« Dieses Gebet hatte sein Vater auf einer Junkerschule der Waffen-SS im Elsass gelernt. Nicht nur Henning stieß es sauer auf. Auch eine seiner Schwestern fragte irgendwann entnervt, ob sie nicht auch einmal beten könnten: »Komm Herr Jesus, sei unser Gast.« Ein frommer Wunsch, der halbherzig eine Weile erfüllt wurde, aber dann dazu führte, dass das Gebet ganz vom Mittagstisch verschwand.
    Das tut man nicht! Das gehört sich nicht!
    Wini fühlte sich in seiner Jugend »unheimlich eingepresst in so ständig auftauchende Überlegungen: Wie muss ich mich verhalten, um brav zu sein? Um nicht aufzufallen? Wie kann ich mich bloß überall zuvorkommend benehmen, einen guten Eindruck hinterlassen?« Die Zeit damals war bieder, intolerant und einengend. Am meisten freute sich Margots Mutter, wenn wieder jemand aus der Nachbarschaft lobend erwähnte, wie nett ihre Tochter gegrüßt habe.
    Vor allem aber die Vorgabe, das macht »man« nicht, das tut »man« nicht, begleitete diese Kindergeneration. Dieser unbekannte Maßstab »man« führte zu so Ermahnungen wie: »Was sollen denn die Nachbarn sagen?« »Man bohrt nicht in der Nase.« »Man macht in der Straßenbahn Platz für Ältere«. Man, man, man! Sauber und ordentlich, gesittet und brav sollte

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