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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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es zumindest nach außen hin zugehen. Kinder machten gut erzogen Fremden gegenüber einen Knicks oder einen Diener, reichten brav und devot dem Besucher das ›gute‹, also das rechte Händchen.
    Backpfeifen versus Stubenarrest
    Wini erinnert sich an ein Verhalten seiner Eltern, das er als regelrechten Psychoterror empfand und das immer dann zum Einsatz kam, wenn die Kinder nicht parierten. »Es konnte schon sein, dass man ein paar kräftige Ohrfeigen eingefangen hat, wegen nix und wieder nix oder wegen ein paar Widerworten. Weil es sich einfach nicht gehörte, den Eltern zu widersprechen. Es konnte auch passieren, wenn man angefangen hat zu heulen, dass man dann noch ein paar gekriegt hat, weil’s als eine Unverschämtheit galt, dass man jetzt noch heulte über die doch so verdient empfangene Strafe.«
    Das alles empfand Wini als normal, wenn auch als ungerecht. Was ihn aber wirklich getroffen hat, das war, wenn er und seine Brüder mittags bei Tisch zu arg herumalberten, zu laut redeten, und die Mutter androhte, sie werde nun den Nikolaus zu Hilfe rufen. Eine Drohung, die sie nicht nur vor Weihnachten, sondern das ganze Jahr über aussprach. Falls diese Drohung allein nicht wirkte, stand sie auf, »wir hatten ’ne große Wohnküche, dann hat sie die Schiebetür aufgemacht und gerufen: Nikolaus komm mal, die sind so bös’. Und wenn’s dann immer noch nicht gewirkt hat, ist meine Mutter rausgegangen und hat gesagt, jetzt holt sie den Nikolaus, und dann ist plötzlich im Spalt der Schiebetür die Nikolausmaske erschienen, mit einer Rute. Für mich als Jüngsten war das der totale Horror. Ich habe richtig Schiss gehabt.« Wenn dann am 6. Dezember bei Wini zuhause die eigentliche Nikolausfeier stattfand, wenn alles adventlich geschmückt war, Lieder gesungen wurden und ein als Nikolaus verkleideter Verwandter auftrat, wunderten sich alle, dass Wini sofort unter den Tisch kroch und sich versteckte. Noch heute muss er sich Autoritäten gegenüber regelrecht zusammenreißen, hat zu mächtig wirkenden Menschen ein gespaltenes Verhältnis. Manchmal lassen sie ihn fast schon zusammenzucken. Er führt dies darauf zurück, dass er »diesen blöden Nikolaus internalisierte«. Dass er ihn nochimmer im Geist vor sich sieht, sobald sich eine Autoritätsperson drohend vor ihm aufbaut.
    Als regelrechten »Psychoterror« empfand Erich Hausarrest. Ein Bestrafungsmittel, das seine Mutter häufig anwandte. Bei für ihn banalen Anlässen wie zum Beispiel, wenn er schlechte Schulnoten nach Hause brachte oder sonst irgendwie nicht pariert hatte. Wie damals, als er acht Jahre alt war und neue Schuhe bekommen hatte. Damit war er zu Besuch bei den Großeltern. Dort langweilte er sich, wollte raus, mit anderen Kindern spielen. Die Großeltern erlaubten das. »Und so habe ich mit den nagelneuen Schuhen Fußball gespielt.« Ziemlich bald schon stieß er sich vorn an einem der Schuhe eine Ecke ab. Als er zurück nach Hause kam, sah die Mutter das gleich und verhängte ihre altbewährte Strafe: Hausarrest. »Ich konnte diesen Hausarrest einfach nicht aushalten, wollte raus, wollte zu den anderen Kindern. Aber das wurde ja verhindert. Also bin ich zu meiner Mutter hin und habe gebettelt, sie möge mich doch bitte schlagen, damit ich danach wieder raus darf. Ich habe um die Schläge gebeten. Aber die war stur. Hat meine Bitte einfach ignoriert.«
    Bei Henning gab es »eine Männlichkeitserziehung, die dann letzten Endes auch Psychoterror war.« Ihm wurde immer wieder eingebläut: Jungen weinen nicht! Benimm dich! Wehre dich! Du musst deinen Mann stehen! »Ich habe eine Männlichkeitserziehung hinter mir, die mir heute noch manchmal kalt den Rücken runterläuft. Ich glaube, das bleibt dann auch nicht ohne Folgen für einen selbst. Aber das war keine bewusste Terrorisierung. Sondern das waren die Prinzipien. Und ich denke schon, dass die Eltern glaubten, damit würden sie ihren Jungen am besten auf das Leben vorbereiten.«
    Es gibt auch eine andere Betrachtungsweise
    Henning zögert, dann meldet er sich noch einmal zu Wort. »Wenn meine beiden Schwestern hier mit am Tisch säßen, würdet ihr über meinen Vater allerdings ganz andere Dinge zu hören bekommen. Da wäre zum Beispiel die Rede von Fürsorge für die Familie, Stolz auf die Kinder, vor allem natürlich auf den Sohn, wunderschöne Ausflüge am Wochenende in die Heide und in den Deister, Spielnachmittage an regnerischen Sonntagen und manches andere. Und wenn ich dann auf seine

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