Die geprügelte Generation
1. Oktober 1945 überall in der sowjetisch besetzten Zone, der SBZ, der Schulunterricht möglich.« 26
Jugendhelfer sollten in dieser Anfangsphase gegenüber Kindern eine »vorbildliche, gleichmütige und verantwortungsvolle Haltung zeigen« und ferner stets »liebevoll, höflich und anständig bleiben«. In diesen Richtlinien, so schreibt Sabine Andresen, könne man ein durchaus kinderorientiertes Bild des Erziehers lesen, so wie es auch in der Reformpädagogik zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts formuliert wurde. Aber eine kindorientierte Reformpädagogik ließ sich weder in der anfänglichen sogenannten Ostzone noch in der späteren DDR durchsetzen, stattdessen ging es bald nur noch um die Frage der Politisierung von Kindern.
»Kinder galten in der SBZ primär als Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges, durch die sie ihre Kindheit verloren hatten«, so Andresen. In mehreren Städten wurden sogenannte »Kinderparlamente« gegründet, von denen einige schon nach kurzer Zeit erste Erfolge vermeldeten. So beschäftigte sich dasKinderparlament in Gera unter Teilnahme des Schulrates damit, »dass mehrere Lehrer während des Unterrichts Schimpfwörter benutzten, Kinder schlugen oder andere unkorrekte Handlungen begingen«. Das Kinderparlament in Pössneck hatte sogar die Suspendierung einer Heimleiterin erwirkt, die in ihrer Erziehung undemokratisch vorgegangen war.
Anlässlich einer Tagung, die vom Zentralrat der FDJ für die verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kindergruppen veranstaltet wurde, schloss eine der Referentinnen ihren Vortrag mit der Vision: »Wir wollen ein frohes Kinderland schaffen, mit glücklichen Augen sollen unsere Kinder in die Welt sehen und eine Kindheit haben, die ihnen Kraft gibt im weiteren Leben.« Eltern sollten durch Schulungen zu den »besten Freunden ihrer Kinder« werden.
Doch schon bald bahnten sich Ordnung und Sauberkeit wieder ihren Weg. Plötzlich hieß es in allzu vertrautem Tonfall: Kinder sollten eine »erzieherische Schulung« erhalten, und diese sollte sie an die üblichen deutschen Sekundärtugenden gewöhnen. Ebenso fehle den Kindern Pünktlichkeit und Disziplin, wurde damals angemerkt. Eine Kritik, die sich nahtlos eingliederte in das, was späterhin Standard in der DDR-Erziehung wurde.
Die Historiker Wolfgang und Ute Benz beschreiben in ihrem Buch »Deutschland, deine Kinder« die in den 50er und 60er Jahren dennoch fortgesetzten Versuche, in der DDR sozialistische Erziehungsstandards zu setzen. So wurden Eltern in Erziehungs- und Frauenratgebern angehalten, »keine körperliche Gewalt gegenüber ihren Kindern anzuwenden, sondern Autorität und Zuneigung zu vermitteln. Kinder sollten von ihren Eltern lernen, Autoritäten anzuerkennen und sich ihnen unterzuordnen, die Erfüllung von Pflichten wurde dazu als notwendig angesehen. Doch sollten die Kinder so erzogen werden, dass sie nicht aus Angst vor Strafe gehorchen, sondern aus dem Wunsch heraus, von den Eltern geliebt zu werden, und aus dem Wissen, sich bei ihnen geborgen und sicher fühlen zu können.« 27
Demütigende Erziehungsmethoden, die die Eltern möglicherweise selbst in ihrer Kindheit erfahren hatten, sollten nicht an ihre Kinder weitergegeben werden. Schon 1949, also lange vor der BRD, wurden in der späteren DDR Prügel an Schulen offiziell verboten. Ansonsten blieb alles jedoch beim Alten. Denn was die Sauberkeitserziehung, die Ernährung, Hygiene und Ordnung im Tagesablauf anbetraf, stützte man sich auf althergebrachte klare Richtlinien, die in Deutschland seit langem schon Tradition hatten. So wurden die Eltern angewiesen, unter allen Umständen »Säuglinge nur im Vier-Stunden-Rhythmus zu stillen und dem Säugling den entsprechenden Schlaf-Wach-Rhythmus anzuerziehen.« Man baute also nahtlos auf den restriktiven und kinderfeindlichen Ratschlägen der NS-Pädagogin Johanna Haarer auf.
Überhaupt gab es in den 50er und 60er Jahren offenbar wenig Revolutionäres aus dem sozialistischen Nachbarland zu berichten.1967 wurde von der Regierung der DDR, dem dortigen Ministerium für Volksbildung, ein einheitlicher »Bildungs- und Erziehungsplan für den Kindergarten« veröffentlicht. Mit nur geringfügigen Veränderungen wurde dieses Standardwerk bis zum Ende der DDR aufgelegt. Jeder staatliche Kindergarten hatte die Pflicht, nach diesem Plan zu arbeiten, da »sozialistische Erziehung ohne Planmäßigkeit, ohne konkrete Zielstellung und der Bestimmung des Inhalts der pädagogischen
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