Die geprügelte Generation
zurückschlagen sollen.«
Nach der Beerdigung ihrer an Krebs gestorbenen Mutter hat sie den Kontakt zu Vater und Bruder abgebrochen. Da war sie gerade mal fünfzehn Jahre alt und sah beide sechzehn Jahre lang nicht wieder. Sie hatte von der Mutter genügend Geld geerbt, um finanziell unabhängig zu sein und konnte sich davon eine Wohnung mieten, ihre Ausbildung bezahlen. »ich war endlich aus den Klauen dieses Vaters weg.«
So einfach geht das nicht mit dem Verabschieden
Doch der Vater ließ nicht so einfach los. Er hat weiter den Kontakt gesucht, hat ihr zum Abitur einen nagelneuen Wagen vor die Tür gestellt. Damals ging sie zur Schule und hatte gleichzeitig schon eine eigene Kneipe. »So eine Jugendkneipe mit Theater. Ich habe wahnsinnig viel ausprobiert und abgebrochen. Also ich war auf der Sportschule in Düsseldorf. Ich wäre fast Medizinerin geworden. Biologin, Zoologin, ich weiß gar nicht mehr was sonst noch, freie Kunst. Ich hab gemalt. Ich hab fotografiert. Ich habeAutos verkauft. Ich habe Zeug importiert aus fernen Landen und das verkloppt. Ich habe studiert, Theater, Film und Fernsehen.« Zu guter Letzt wurde sie Filmemacherin. Und glaubt, durch ihre Familiengeschichte ganz besondere Antennen zu anderen Menschen entwickelt zu haben. »Wobei ich nicht sagen will, dass Leute, die nicht geprügelt worden sind, keine haben. Aber ich habe wirklich andere Antennen, sobald es um Gewalt geht. Ich hab andere Antennen um zu merken, dass Leute irgendwie nicht so sind wie sie sich geben.«
Die Angst vor Enge und eingeschlossen Sein ist ihr geblieben. »Ich weiß noch genau, wie es sich anfühlt, wenn das loszugehen drohte. Wie der Ton klingt, wenn ich weggesperrt werden sollte. Diese Töne sind heute noch da. Auf sie reagiere ich super empfindlich.« Irgendwann hatte sie das Gefühl, sie könne das starke Hassgefühl ihrem Vater gegenüber nicht ewig aufrechterhalten. Neugierde kam hinzu. »Mal gucken, was passiert. Immer schön mutig. Und bin dann einfach bei ihm vorbeigefahren. Ich hab halt geklingelt. Und er hat die Tür aufgemacht. Ich fühlte mich sicher, lebte damals schon jahrelang in den USA. Als er die Tür aufmachte, hat er mich erst mal nur angestarrt, als stünde da ein Marsmännchen vor ihm. Hat mich aber sofort erkannt. Unsere erste Begegnung jedenfalls war relativ kurz und auch heftig. Mein Vater hat sehr, sehr geweint.«
Noch immer triezt ihr Vater sie
Heute übt ihr Vater eine andere Art von Gewalt auf sie aus, so empfindet sie es jedenfalls. »Er weiß, dass ich mit ihm nicht über Ausländer diskutiere. Dass ich seine Ausländerfeindlichkeit und Judenhasserei nicht teile. Aber er lässt mich damit nicht in Ruhe, drangsaliert mich durch Aussprüche wie »Scheiß-Ausländer«. Deshalb sehen wir uns nur ab und zu. Und nur dann, wenn ich es will. Er ruft nie an. Außer er will, dass ich einen Begriff für ihn google. Manchmal melde ich mich drei oder vier Monate nichtbei ihm. Manchmal ein ganzes Jahr nicht. Es vergehen auch schon mal zwei Jahre, wenn er mich richtig geärgert hat. Mit meinem Bruder ist das anders. Es gibt Zeiten, da telefonieren wir viermal täglich. Wir sind halt sehr, sehr eng. Ich mache in diesen Beziehungen sehr viele Zugeständnisse. Sehr viele Kompromisse. Mein Vater kommt jetzt gerade in eine Phase, wo er über all das Vergangene reflektiert. Mein Bruder kann das nicht, weil er alles vergessen hat. Das ist für ihn ganz schlimm. Deshalb braucht er mich, weil ich damals ja alles in mein Tagebuch geschrieben habe. Ich weiß halt was war. Und der hängt an meinen Lippen, wenn ich ihm erzähle, was früher mit ihm passiert ist. Was man mit ihm gemacht hat. Weil er sich nicht mehr erinnern kann.«
»Ich habe mit meinem Vater in den vergangenen Jahren manchmal schon sechs Stunden am Stück telefoniert. Zum Beispiel über diese Tennisballaktion in der Garage. Dann schreit mein Vater immer, was, da kannst Du dich noch dran erinnern? Du wirst dich wundern, sag ich ihm dann. Ich habe alles in meinem Tagebuch aufgeschrieben. Ich kann dir ja gerne mal ein paar Seiten nach Haus kopieren. Solche Gespräche sind heftig. Er rechtfertigt sich. Ja. Man habe ihn allein gelassen. Es seien keine Therapeuten da gewesen, die sich um so eine Familie eigentlich hätten kümmern müssen. Wo doch die Mutter krebskrank war und beide Kinder in der Pubertät. Er hätte halt nicht gewusst, wie man damit umgeht. Hilflosigkeit. Dem fällt nix dazu ein.
Außerdem hätten seine Eltern doch das Gleiche
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