Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
Vom Netzwerk:
mit ihm gemacht. Die haben ihn erschreckt, in den Keller gesperrt. Meine Mutter hat erzählt, was meine Großeltern mit meinem Vater veranstaltet haben. Gruselig. Unter aller Kanone! Und mein Vater erzählt mir immer über seinen Vater. Sagt aber gleichzeitig, das willst du gar nicht wissen. Dann geht es los. Dein Opa war in der SA. Papa, das haste mir jetzt schon 100 Mal gesagt. So fucking what? Willste mich damit ärgern? Jetzt geht die ganze Judengeschichte wieder los. Ich will diese Geschichten nicht mehr hören. Sonst knall’ ich den Hörer auf. Ich hab ihm schon mal gesagt,wenn das jetzt weitergeht, ich lege den Hörer auf, dann war’s das. Ich will, dass er meine Grenzen respektiert.
    Obwohl mich meine Mutter genauso geprügelt hat wie mein Vater, hat sie lange wirklich auf so einem Thron gesessen. Man redet ja ungern schlecht über Tote, aber auch das musste irgendwann sein. Sie hat gehetzt. Sie hat mir immer klar gemacht, wie scheiße mein Vater ist. Ich habe natürlich alles geglaubt, bin nur auf ihn los. Sogar an ihrer Krebserkrankung hat sie ihm die Schuld gegeben. Sie hat meinen Vater gehasst. Aber ich war es, die zu ihm gesagt hat, ich hasse dich. Du bist schuld, dass die Mama weint. Sie hat ihm nie gesagt, ich weine deinetwegen. Ich habe es ihm gesagt. Ich bin dazwischen gegangen bei Streitereien.«
    Aus Ilka ist eine Frau geworden, die gut mit sich und ihrem Gefährten, einem Gecko namens »Sowieso«, leben kann. Der zwingt sie zu nichts, lässt sie los, wenn sie für ihre Auslandsreportagen durch die Welt streift. Sie ist ständig voll sprühender Ideen, strömt eine Kraft und Energie aus, bei der ihre Umgebung ab und zu nach Luft schnappen muss. Gleichzeitig reist sie manchmal monatelang allein nach Asien, nach Südamerika, spricht dann oft tagelang mit niemandem. Hält das gut aus. Ist sich selbst genug. Hat dann alles dabei, was sie zum Überleben braucht. So wie damals, als sie aus ihrem Kinderzimmer ein survival-camp machen musste.

13. Kapitel
TISCHRUNDE IM BREGENZER WALD/ ENDRUNDE NACH MITTERNACHT
    Es ist spät geworden, Mitternacht lange vorbei. Die Gesprächsrunde um den Holztisch in der guten Stube des Bregenzer Bauernhauses wirkt erschöpft. Die zweite Flasche Obstler ist längst zur Neige gegangen. Margot hat ihr Strickzeug zur Seite gelegt. Nüsse und Chips sind aufgefuttert. Ich achte längst nicht mehr auf mein Tonbandgerät, das in der Mitte des großen Holztisches weiterhin unser Gespräch aufnimmt. Die Wärme des Bollerofens lässt langsam nach. Wini, Ellen, Erich, Margot, Henning, Jochen und ich sind rechtschaffend müde. Stundenlang hatten wir uns an die 50er und 60er Jahre erinnert. In der guten Stube des alten Bauernhauses sind Melodien von Caterina Valente und Bill Ramsey angestimmt worden. Für einen kurzen Moment hatten wir den etwas labberigen Geschmack von Toast-Hawai oder Russischen Eiern auf der Zunge gespürt. Hatten uns mit Halbstarken, Schlüsselkindern und unseren verkorksten Eltern herumgeschlagen. Doch eines ist allen wichtig: die Frage, was eigentlich aus unserem Verhältnis zu den Eltern geworden ist im Verlauf der Jahre.
    Henning zum Beispiel hat sich nie mit seinem Vater versöhnen können. Dem Vater, der bei Tisch rassistische Sprüche losließ und mit seiner Nazi-Vergangenheit nicht hinter dem Berg hielt. Sein Vater war für ihn eine abschreckende Figur, was bei ihm zu dem festen Vorsatz geführt hatte: »So will ich auf gar keinen Fall werden, und so bin ich zum Glück auch nicht geworden. Auf der anderen Seite«, sagt Henning nachdenklich, gehe es ihm heute Abend so, dass er schon ein paar Mal dachte, »du erzählst immer nur Schlechtes über deinen Vater. Er hatte natürlich auch liebenswerte Seiten.«
    Die Seiten, die seinen beiden Schwestern eher in Erinnerung geblieben sind. Nur, um sich diesen Seiten seines Vaters zuwenden zu können, muss Henning erst einmal innerlich rationalisieren.Sich vor Augen führen, welchen Lebensweg dieser Vater hinter sich hatte. Mit einer früh verstorbenen Mutter, einer Stiefmutter, die ihn und seine Brüder nie mochte. Er selbst wurde mit sechzehn in ein Internat gesteckt. Ja, er könne schon nachvollziehen, dass der Vater so geworden ist: ein harter alter Nazi, uneinsichtig und unbelehrbar. In seiner Verzweiflung, wahrscheinlich über seine gescheiterten Träume, dem Alkohol und den Zigaretten verfallen. »Ich kann ihn verstehen und würde sagen, wenn du an seiner Stelle gewesen wärst, vielleicht wärst Du ja auch

Weitere Kostenlose Bücher