Die geraubte Braut
Taufbecken, die langen Bankreihen, der schimmernde Altar Gestalt an. Gut möglich, dass in der Sakristei Priestergewänder hingen, in die sie sich einhüllen konnte, da es ihr als Sakrileg erschienen wäre, das Altartuch zu benutzen.
Sie ging nach vorne und setzte sich auf die oberste Altarstufe. An das Kommuniongitter gelehnt, holte sie den jungen Hund unter ihrem Mantel hervor.
»Na, zu welcher Sorte gehörst du?« Es war zu dunkel, um es zu erkennen, ihre tastenden Finger aber fanden rasch die Antwort – eindeutig weiblich. Das Tierchen leckte ihre Hand und ließ wieder ein Winseln hören.
Portia setzte es auf den Boden und öffnete das Proviantbündel. Als es das Fleisch roch, drängte sich das Hündchen energisch gegen ihr Knie. Portia nahm ihr Messer aus dem Stiefel und schnitt das Fleisch in winzige Stückchen, die sie auf die Altarstufen legte. Der Hund schien daran nur zu schnüffeln, und schon war das Häppchen verschwunden.
»Ich habe das Gefühl, dein Hunger ist größer als meiner«, murmelte Portia und fuhr fort, Fleisch in Stückchen zu schneiden, bis sie ihren gesamten Fleischvorrat an den Hund verfüttert hatte. Sie selbst begnügte sich mit dem Wein und fühlte sich wenigstens innerlich gewärmt. Sie erwog, eine der Altarkerzen anzuzünden, entschied dann aber, dass es unklug gewesen wäre, Licht zu machen. Sie hatte keine Ahnung, wie die Bewohner des Weilers sie empfangen würden. Die verschlossenen Häuser deuteten jedenfalls darauf hin, dass sie mit Feindseligkeit rechnen musste.
Der nun gesättigte Hund- trottete davon, in die Dunkelheit. Portia, di e ahnte, was er vorhatte, raffte sich hastig auf. »Warte, in einer Kirche muss man sich benehmen.« Sie hob das Tier auf und trug es ins Freie. Im Kirchhof erleichterten sich beide im Schutze einer Eibe und zogen sich anschließend wieder in die Kirche zurück.
Portia entdeckte in der Sakristei ein verschlissenes Messgewand, in das sie sich hüllte. Dann setzte sie sich mit dem Rücken zum Altar nieder und schloss die Augen. Der Hund kroch auf der Suche nach Wärme auf ihren Schoß, unter Mantel und Messgewand.
»In diesem Fall ist es erlaubt«, sagte Portia mit klappernden Zähnen. Der kurze Ausflug ins Freie hatte die wohlige Wärme des Weins zunichte gemacht. Nur ein kleines Schlückchen war ihr noch geblieben.
Nun erschien es ihr nicht mehr als Sakrileg, das Altartuch zu benutzen, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass es eine Lästerung Gottes sein sollte, wenn das Tuch eines seiner Geschöpfe vor dem Erfrieren bewahrte.
Aber auch mit dem Altartuch war es zum Schlafen zu kalt. Sie war todmüde, jeder Muskel war starr vor Kälte. »Weißt du was, Juno, wenn dieser missmutige Rufus Decatur nach allem, was ich durchstehen musste, auch nur das kleinste Anzeichen von Undank erkennen lässt, soll er mein Messer an seiner Kehle spüren«, murmelte sie im Nacken des Hundes. Laut mit jemandem sprechen zu können, war ein gewisser Trost, auch wenn es nur ein Tier war, das nicht antworten konnte.
Warum hatte sie sich entschlossen, dieses unansehnliche Häufchen Hund Juno zu nennen? Die Frage blitzte in ihrem Kopf auf, ohne auf Antwort zu warten. Ihr Verstand fing an, ihr Streiche zu spielen. Sie glaubte, sie läge wieder in ihrem Bett in Catos Burg. Dann wiederum befand sie sich in der St. Stephen's Street und hörte Jack gotteslästerlich fluchen, weil sie ihm nicht genügend Brandy besorgt hatte. Als nächstes lag sie auf einer sonnigen Wiese an der Loire. Die Sonne brannte ihr heiß auf den Rücken und wärmte ihre Knochen. Jack saß ein Stück weiter und würfelte mit zwei Wanderkrämern, denen allmählich dämmerte, dass der Mann, den sie als leichte Beute angesehen hatten, ihnen alles abnehmen würde, was sie besaßen, bis hin zu den Stiefeln an ihren Füßen.
Sie strich über ihre Wange, wo eine Fliege sie plagte, und störte die wonnige Trägheit der Sonnenhitze, die schöne rotdurchzogene Schwärze hinter den geschlossenen Augen. Das Summen hörte nicht auf. Ärgerlich schlug sie zu, und etwas kniff sie in die Finger, so dass sie in die kalte Realität zurückversetzt wurde.
Verständnislos starrte sie Juno an, die angsterfüllt ihren Blick erwiderte. Das Hündchen hatte ihre Wange abgeleckt, da es spürte, dass sie im Begriff stand, in eine Sphäre zu entgleiten, aus der es vielleicht keine Wiederkehr mehr gab.
Mit heftigem Schaudern sprang Portia auf und zog das Altartuch enger um sich, während sie das Kirchenschiff auf und ab
Weitere Kostenlose Bücher