Die geraubte Braut
Männer und Pferde drängten sich in wildem Durcheinander, Stallknechte liefen umher und füllten Satteltaschen mit Proviant aus der Kantine. Rufus, der die Menge um Kopf und Schultern überragte, hielt Ajax am Zaum und gab dem neben ihm stehenden Will letzte Anordnungen.
Nach kurzer Beobachtung war Portia klar, dass hinter dem scheinbaren Chaos System steckte und ein geordneter Prozess ablief, der allen vertraut war. Niemand hatte Zeit, von ihr Notiz zu nehmen, und selbst wenn sie jemandem aufgefallen wäre, hätte er nur eine unauffällige Gestalt in Breeches und Mantel gesehen. Sie hätte einer der jungen Leute sein können, die sich auf dem Hof eifrig zu schaffen machten.
Als sie in den Stall schlüpfte, wusste sie ganz genau, welches Pferd sie suchte. Eine zierliche Stute namens Penny, die schon bei ihrem Rundgang mit Rufus ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Das Pferd stand unbeachtet in seiner Box am entfernten Ende des Stallblockes. Sattel und Zaumzeug hingen in Reichweite an einem Balken im rückwärtigen Teil der Box. In Minutenschnelle war das Pferd gesattelt.
Lässig und wie sie hoffte mit selbstverständlicher Autorität führte Portia die Stute hinaus auf den Hof. Die Männer waren nun aufgesessen, die Pferde, die die Unruhe spürten, scharrten und schnaubten.
Portia schwang sich auf Penny und lenkte die Stute unauffällig in die Reitergruppe hinein. Rufus bestieg den prachtvollen Ajax und ließ seinen Blick über den Trupp wandern, ehe er mit erhobener Hand das Zeichen zum Aufbruch gab. Die jungen Männer, die zurückbleiben mussten, blickten ihren glücklicheren Kameraden nach, als die Gruppe sich mit Hufgetrappel in Bewegung setzte und los ritt, den Fluss entlang.
Toby und Luke liefen der Kavalkade entgegen, als sie diese sahen, kletterten auf ein Gatter und schrien lauthals: »Papa … Papa!«
Rufus zügelte sein Pferd und bückte sich, um sie vom Gatter zu heben und sie vor sich auf den Sattel zu setzen, ein Vorgang, den sie zwar kannten, der sie aber in bange Bewunderung ver-, setzte und ihr lautes Geschrei jäh verstummen ließ. Nun blickten sie mit einer Mischung aus leichter Furcht und Stolz in den großen Augen um sich, während Ajax am Kopf der Truppe bergauf ging.
Oben angekommen, hob Rufus seine Söhne in die offenen Arme des Wachtpostens hinunter. »Schick sie zurück, wenn wir fort sind.«
»Jawohl, Mylord.« Der Mann setzte sich grinsend je ein Kind auf eine Hüfte. »Viel Glück, Sir.«
Sie ließen die Postenstation hinter sich und ritten durch das Hügelland weiter. Niemandem war aufgefallen, dass Lord Rothburys kleine Abteilung nicht dreißig, sondern einunddreißig Reiter zählte.
Portia verspürte einen Stich, als ihr klarwurde, dass es ihr geglückt war, das Dorf zu verlassen. Sie war ohne bewusste Motivation vorgegangen und hatte auch nicht wirklich geglaubt, dass es ihr glücken würde. Aber da war sie nun, inmitten dieses Männerhaufens unerkannt, vom Anführer unbemerkt. Sie musste nur eine günstige Gelegenheit abwarten, bis sie zurückbleiben, sich in ein Gebüsch schlagen und verschwinden konnte. Trotz Rufus Decaturs selbstgefälliger Vorträge über die Sicherheit seiner Festung war sie frei und konnte sich ungehindert bewegen.
Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, das ihr jedoch rasch verging, als sie sich fragte, wie Cato auf ihre Rückkehr reagieren würde. Ihre Informationen mussten doch gewiss von Interesse für ihn sein, oder? Für Diana war Portias plötzliches Verschwinden natürlich Grund zum Frohlocken, aber Olivia würde sich freuen, sie wiederzusehen.
Die Männer um sie herum ritten schweigend dahin. In das Klirren von Zaumzeug und Sporen mischten sich die klagenden Rufe eines Regenpfeifers und das Jubilieren einer Amsel.
Es war zu früh, um sich davonzustehlen. Das Gelände war zu übersichtlich, die Hügelposten noch zu nahe. Um unerkannt zu bleiben, wechselte sie oft ihre Position. Die Truppe ritt in lockerer Formation, zu zweit oder zu dritt, und Portia lenkte Penny um die kleinen Gruppen herum und verblieb nie lange genug, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Spitze der Kavalkade, die Rufus Decatur und Will anführten, mied sie geflissentlich.
Bald ließen sie das offene Land hinter sich und bogen auf einen schmalen, felsigen Pfad ab, der sich zwischen zwei Hügelrücken dahin schlängelte. Die zerklüfteten Hänge ragten so hoch auf, dass es aussah, als würden sie über ihnen irgendwo zusammenstoßen. Nur ein schmaler Streifen
Weitere Kostenlose Bücher