Die geraubte Braut
»Nun?«
»D-Diana.« Dieses Wort kostete Olivia so viel Mühe, dass sie es nur krächzend herausbrachte. Olivia deutete in Richtung von Dianas Salon, mit hochgerafften Röcken dastehend, bereit, die Flucht zu ergreifen, falls er sich ihr irgendwie nähern sollte.
Brian schenkte ihr jedoch keine weitere Beachtung, schlug nur die Tür zu und eilte davon. Olivia trat einen Schritt zurück, um ihm die Sicht auf Portia zu verstellen, falls er sich aus irgendeinem Grund umdrehen sollte. Kaum war er um die Ecke gebogen, als Portia aus der Deckung sprang.
»Da, nimm das, und leg es ihm ins Bett! Rasch! Ich halte hier Wache. Wenn jemand kommt, pfeife ich.« Sie hielt ihr das Taschentuch mit dem krabbelnden Inhalt entgegen, während sie mit der freien Hand die Tür öffnete.
»Los!« drängte sie, als Olivia sich nicht rührte.
Olivia schluckte. Dann nahm sie das Taschentuch und huschte in den Raum. Portia trat in den Türspalt und behielt den Korridor im Auge. »Zieh die Decke bis ans Fußende zurück«, wies sie ihre Freundin leise an.
Olivias Herz klopfte so heftig, dass sie kaum atmen konnte. Doch sie befolgte Portias Anweisungen, zog das Bettzeug am Fußende hoch und schüttelte den Inhalt des Taschentuchs auf das Laken.
»Und jetzt steck die Decke wieder fest«, befahl Portia ihr.
Olivia tat, wie ihr befohlen. Vor Nervosität und Erregung kichernd klopfte sie als Bekräftigung für das gute Gelingen des Planes leicht auf die Decke und flüchtete sofort wieder hinaus zu Portia.
»So, das müsste reichen. In der Wärme werden sie sich beruhigen, und wenn dieses Ekel zu Bett geht, steuern sie auf seine wärmste und feuchteste Stelle los. Rate mal, wo das ist.« Portia feixte boshaft. »Am Morgen wird er mit großen roten Bissmalen an den unzugänglichsten Stellen erwachen.«
»Sind sie giftig?«
»Nicht tödlich«, erwiderte Portia ernst. »Ich sagte schon, dass ich ihn nicht töten werde.«
»Ach, ich wünschte, ich könnte es mit ansehen.« Olivia sagte es mit sichtlicher Vorfreude.
»Es reicht, wenn du ihn am Frühstückstisch beobachtest«, erwiderte Portia schmunzelnd.
Brian hielt vor Dianas Salon inne, zupfte automatisch sein Wams zurecht und ordnete den Fall des Spitzenkragens an den Schultern. Er hatte sich von der Szene mit Jack Worths Bastard noch immer nicht ganz erholt. Noch nie zuvor war er mit so gemeinen Schmähungen überhäuft worden, auch nicht bei seinen Ausflügen in die verrufensten Kaschemmen. Er war ratlos, was er in der Sache unternehmen sollte. Granville oder Diana von, dem Vorfall zu berichten war undenkbar. Wie hätte er denn eingestehen können, dass dieses Straßengör ihn tödlich beleidigt hatte? Wie konnte er wiederholen, was sie gesagt hatte? Das Schlimmste war, dass Olivia alles mit angehört hatte. Diese dumme Pute war Zeugin seiner Niederlage geworden. Irgendwie würde er sich an Portia Worth, dieser Bastardbalge, rächen müssen, aber zu seiner Zeit und mit seiner eigenen Methode, in der er wahre Meisterschaft entwickelt hatte: Er ließ sich Zeit, die günstigste Gelegenheit abzuwarten, weil dann die Rache umso süßer schmeckte.
Nach kurzem Anklopfen öffnete er die Salontür und trat mit einer tiefen Verbeugung ein. »Lady Granville, wie kann ich Euch zu Diensten sein?«
Sie blickte mit überraschtem Lächeln von dem Brief auf, den sie schrieb. »Ach, wie schön, dass Ihr mir Gesellschaft leisten wollt, Mr. Morse. Ich muss gestehen, dass mir das Leben in letzter Zeit recht öde erscheint, da sich kaum Gäste zu uns verirren. Aber wer besucht schon gern ein Militärlager?« Sie schmollte. »Natürlich muss mein Gemahl tun, was er für das Beste hält, aber zuweilen verzehre ich mich nach einem kultivierteren Umgang, nach geistreicher Konversation, nach Gelegenheiten, sich wieder mit Mode zu befassen. Ich habe ja keine Ahnung, was man jetzt bei Hofe trägt.« Sie glättete mit einer geringschätzigen Geste den Rock ihres eleganten Kleides. »Gewiss haltet Ihr mich für hausbacken.«
»Aber keineswegs, teure Lady Granville.« Brian setzte sich auf das Sofa neben sie. »Ihr seid der Inbegriff von Eleganz. Bei Hofe könnte niemand Euch das Wasser reichen.«
Diana lachte melodisch. »Ihr schmeichelt mir, Sir. Ich bitte Euch, fahrt fort, mir vom Hofe zu erzählen.« Sie berührte seine Hand. »Wie ergeht es der Königin unter diesen widrigen Umständen? Ich wünschte mir so sehr, ihr beistehen zu können. Und der armen kleinen Prinzessin Henrietta! Ein zartes Kind wie sie
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