Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
Vom Netzwerk:
gestanden?«
    »Ja«, sagte Will und atmete frustriert durch die Nase aus. »Es hat in der Zeitung gestanden.« Das war das Dumme bei der Seite B3 des Lokalteils: Die Leute lasen einfach darüber weg.
    »Na ja, es waren auch hohe Festtage. Wir haben keine Zeitung gelesen. Wir haben unser Leben gelebt. Wir hatten keine Ahnung, was da vorging. Aber dann hörte der eine oder andere etwas. Unser Mann in Seattle sah die Hütte, die er besucht hatte, im Fernsehen. Der Mann, der unser Zentrum in Chennai leitet, las in der Zeitung, dass der Zadik in dieser Stadt – einer der jüngsten – tot aufgefunden worden war. Ein Bericht nach dem andern.«
    »Wie viele sind schon tot?«
    »Das wissen wir nicht. Josef Jitzhok hat ja erst vor ein paar Monaten angefangen, daran zu arbeiten. Unsere Liste war kaum vollständig, und wir konnten nicht in jedem Fall eine Bestätigung bekommen. Dieser Mann zum Beispiel« – der Rabbi deutete auf die Tafel mit der Zahl des Schatzkanzlers – »um ihn zu finden, haben wir länger gebraucht. Es hat sich herausgestellt, dass das GPS in England ein bisschen anders ist. Das WGS84-Datum, anscheinend. Das wüssten wir zuerst nicht, und als Josef Jitzhok die Zahlen zum ersten Mal auswertete, schienen sie ausgerechnet auf ein Gefängnis hinzudeuten. Eine Strafanstalt in Belmarsh. Es kam uns unwahrscheinlich vor, aber ganz von der Hand zu weisen war eine solche Möglichkeit nicht. Wir wissen, dass die wahre Natur der Zaddikim oft im Verborgenen liegt.
    Aber als wir unsere Zahlen korrigiert hatten, bekamen wir auf der Stelle ein Resultat. Downing Street! Und zwar nicht das berühmte Haus Nr. 10, sondern das Nachbarhaus. Die Angabe war völlig klar. Zu der Zeit war dieser Curtis offenbar in großen Schwierigkeiten. Es gab einen Skandal, glaube ich. Auch das eine Tarnung.«
    Will wurde ungeduldig. Genug der Vorträge, dachte er. Er wollte schlichte, harte Fakten hören, frei von allen mystischen Untertönen.
    »Verzeihen Sie, aber ich will das alles ganz klar haben. Verfügen Sie über die vollständige Liste oder nicht?«
    »Wir glauben ja.«
    »Und wie viele von denen, die auf Ihrer Liste stehen, sind tot?«
    »Wir glauben, es sind mindestens dreiunddreißig.«
    »O Gott!«
    »Das heißt, vielleicht müssen sie nur noch drei Leute umbringen? Es ist jetzt kurz vor Mitternacht. Jom Kippur ist in ungefähr neunzehn Stunden zu Ende.« TC, die sonst immer so ruhig sprach, klang zutiefst verschreckt.
    »Rabbi, wer immer das tut, scheint ziemlich gut über jüdische Gebräuche Bescheid zu wissen. Meinen Sie nicht auch?«, sagte Will. »Ich meine, wer außer frommen Juden kennt das alles – die Gerechten, die Tage der Ehrfurcht? Sie halten sich buchstabengetreu daran. Und Sie sagen, niemand außerhalb dieser sehr kleinen Gruppe wusste etwas von Josef Jitzhoks Entdeckung.«
    »Was wollen Sie damit sagen, Mr. Monroe?«
    »Ich will damit sagen, dass Sie vielleicht nicht dahinter stecken, obwohl ich immerhin weiß, dass Sie ein Entführer sind. Aber es ist doch beinahe sicher, dass es jemand ist, der zu Ihrer Organisation gehört, zu Ihrer Gemeinde, oder wie sie es sonst nennen. Ich schätze, die Polizei würde so etwas einen Insiderjob nennen. An Ihrer Stelle würde ich anfangen, die Leute in Ihrer unmittelbaren Umgebung unter die Lupe zu nehmen.«
    »Mr. Monroe, es ist schon spät, und die Zeit wird uns knapp. Ich habe weder die Zeit noch die Kraft, mit Ihnen zu streiten. Was Tova Chaya gesagt hat, stimmt: Wir müssen zusammenarbeiten. Also werde ich Ihnen vertrauen, auch wenn Sie mir nicht vertrauen können. Was ich Sie tun lassen werde, dürfte Ihnen beweisen, dass wir nicht hinter dieser schrecklichen Ruchlosigkeit stecken.«
    »Was wäre das?«
    »Ich werde Sie zum nächsten Opfer schicken.«

50
    MONTAG, 0.10 UHR, MANHATTAN
    Will war ein paar Mal an der Lower East Side gewesen und hatte dort Freunde besucht, die hip und raffiniert genug gewesen waren, um Häuser in den heute angesagten Ecken nördlich des East Broadway zu kaufen und zu renovieren. Er hatte die altmodischen Delis gesehen und Kaffee in den Retro-Chic-Cafés der Orchard Street getrunken. Aber er hatte die sicheren, modischen Straßen nicht verlassen. An den alten Mietshäusern war er vorbeigefahren und hatte sie als Filmkulisse betrachtet. Er hatte nie genau hingeschaut.
    Aber jetzt war er dort, und in der Nachtluft fröstelte ihn vor Kälte und Erschöpfung. Seine Hand steckte in der Tasche, und in der Hand hielt er den zusammengeknüllten

Weitere Kostenlose Bücher