Die Gerechten
die Geschichte basiert auf ein paar entscheidenden Tatsachen. Da ist zunächst die Legende von den lamedvav, dieser sechsunddreißig außergewöhnlichen Individuen, deren Tugend die Welt aufrechthält. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die jüdische Überlieferung. Die Bücher und Aufsätze, die Rabbi Mandelbaum in seinem Gespräch mit Will zitiert, existieren tatsächlich – und für jemanden, dessen Interesse hier geweckt worden ist, lohnt es sich, einen Blick hineinzuwerfen. Der nahe liegende Ausgangspunkt ist Gershom Scholems The Messianic Idea in Judaism (New York 1971), und darin vor allem das Kapitel über die Überlieferung von den sechsunddreißig verborgenen Gerechten. (Diese Texte finden sich auf deutsch in Scholems Judaica I (Frankfurt am Main 1963))
Scholem erzählt die Geschichte, die Mandelbaum hier wiedergibt; sie erscheint im palästinischen Talmud und stammt aus dem 3. Jahrhundert. Darin wird von einem Rabbi berichtet, der entdeckt, dass die Gebete der Gemeinde um Regen erhört werden, wenn ein bestimmter Mann dabei anwesend ist. Dieser Mann heißt Pentakaka; der Name stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich »Fünf Sünden«: Der Mann führt ein Bordell, und er trommelt und tanzt sogar vor seinen Huren. Aber als eine Frau ihm anbietet, für ihn als Hure zu arbeiten, damit sie ihren Mann aus dem Gefängnis freikaufen kann, verkauft Pentakaka lieber sein Bett, als zuzulassen, dass sie diese Entwürdigung auf sich nimmt. Mit anderen Worten: Howard Macrae ist keine frei erfundene Gestalt: Die Tat dieses Gerechten ist dokumentiert – und mindestens 1700 Jahre alt.
Jean-Claude Pauls gute Tat in Haiti – die Einrichtung einer geheimen Kammer, die sicherstellt, dass Spender und Empfänger mildtätiger Gaben anonym bleiben – hat noch ältere Wurzeln. Die »Kammer der Geheimnisse« gehörte zum Tempel Salomos, der als heiligste Stätte des Judentums von 953 bis zu seiner Zerstörung im Jahr 586 v. Chr. in Jerusalem stand. Sie war die steingewordene Verkörperung eines Kernprinzips: dass der Akt des Schenkens für die Beteiligten weder Ruhm noch Demütigung mit sich bringen dürfe, sondern stattdessen ein Akt schlichter Gerechtigkeit zu sein habe.
Tatsache ist auch die Existenz einer großen chassidischen Gemeinde in Crown Heights, die noch heute um einen Rebbe trauert, den sie vor einigen Jahren verloren hat, und deren seelsorgerische Tätigkeit noch immer den ganzen Globus umspannt. Der Rebbe der Lubavitch- oder Chabad-Bewegung war eine bemerkenswerte Persönlichkeit, und manche seiner Anhänger hielten ihn für den Messias. Einige tun es heute noch.
Und schließlich: Ersetzungstheologie und Supersessionismus sind keine Erfindung. Viele Christen vertreten tatsächlich die Überzeugung, dass die Juden ihre Rolle als auserwähltes Volk Gottes verwirkt haben und dass dieser Status auf diejenigen übergegangen sei, die Jesus Christus nachfolgen. Der Wikipedia-Eintrag, den Will zu diesem Stichwort entdeckt, ist nicht erfunden, sondern direkt aus der englischsprachigen Wikipedia zitiert.
Das sind die Tatsachen. Was den Rest angeht – wer weiß das schon?
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