Die Gerechten
Sie das ganze Zeug«, sagte der Detective. Jeder Gegenstand wanderte in einen klaren verschließbaren Plastikbeutel, der versiegelt wurde. Der Detective notierte alles, mit dem Sergeanten als Zeugen.
Als sie seine Brieftasche öffneten, beging Will einen der größten Fehler dieser Nacht. Zwischen den Plastikkarten war sein Presseausweis: Will Monroe, New York Times.
»Okay, ich geb’s zu. Ich sage Ihnen, warum ich wirklich in dem Gebäude war: im Auftrag der New York Times. Ich schreibe eine Serie über das Verbrechen in New York, und deshalb war ich dort.«
Der Detective sah ihn zum ersten Mal an.
»Sie schreiben für die New York Times?«
»Ja. Ja.« Will war froh, dass er endlich eine Reaktion hervorgerufen hatte. Der Detective wandte sich ab, und der Sergeant arbeitete weiter.
Will wurde zu einem anderen Tisch geführt. Dort musste er den rechten Zeigefinger auf einen elektronischen Scanner legen und still halten. Dann den linken und dann alle übrigen Finger. Jedes Mal erklang ein Piepton, als wäre er ein Stück Ware an der Supermarktkasse.
Weiter ging es zu einem Raum, an dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift »Vernehmungszimmer« stand. Unterwegs reichte der Detective einer Kollegin eine Kopie von Wills persönlichen Daten. »Jeannie, kannst du die Angaben für mich überprüfen?«
In dem Raum stand ein Tisch mit zwei Stühlen. In einer Ecke stand ein Telefon, und die Wände waren kahl bis auf einen Kalender: New York, The Empire State.
»Okay, mein Name ist Larry Fitzwalter, und ich bin Ihr persönlicher Detective für heute Abend. Wir fangen folgendermaßen an.« Er holte ein Formular hervor und legte es auf den Tisch. »Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Haben Sie das verstanden?«
»Ja, das hab ich verstanden, aber ich würde Ihnen wirklich gern erklären –«
»Okay, Sie haben’s verstanden. Können Sie bitte hier mit Ihren Initialen abzeichnen?«
»Hören Sie, ich war in der Wohnung, weil ich einem Mann gefolgt bin –«
»Zeichnen Sie hier bitte ab? Damit bestätigen Sie, dass Sie verstanden haben, was ich Ihnen gerade erklärt habe: dass Sie das Recht haben, zu schweigen. Okay. Alles, was Sie hier sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Verstehen Sie?«
»Das ist ein ganz einfaches Missverständnis –«
»Ob Sie mich verstehen? Mehr will ich jetzt nicht wissen. Verstehen Sie, was ich Ihnen sage? Wenn ja, dann zeichnen Sie jetzt das gottverdammte Formular ab!«
Will sagte nichts mehr. Er ließ sich seine Rechte zu Ende vorlesen, zeichnete das Blatt ab, und der Detective schob es zur Seite.
»Okay, nachdem Sie Ihre Rechte kennen – wollen Sie mit uns reden?«
»Darf ich telefonieren?«
»Mitten in der Nacht? Wen wollen Sie anrufen?«
»Muss ich Ihnen das sagen?«
»Nein.« Der Detective holte das Telefon aus der Ecke. Die Schnur spannte sich, als er es auf den Tisch stellte. »Sagen Sie mir nur, welche Nummer.« Will hatte nicht gewusst, dass es so funktionierte.
Er wusste, es gab nur einen einzigen Menschen, den er jetzt anrufen konnte, und der Gedanke daran war entsetzlich. Wie konnte er diese Nummer wählen – mit dieser Nachricht? Er sah auf die Uhr. Es war Viertel nach zwei. Fitzwalter wurde ungeduldig.
Will diktierte ihm die Nummer. Der Detective wählte sie und reichte ihm den Hörer – und blieb sitzen. Es war klar, dass er jedes Wort mithören würde. Endlich hörte Will die Stimme, nach der er sich sehnte und vor der ihm zugleich graute.
»Hello? Dad?«
54
MONTAG, 3.06 UHR, MANHATTAN
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie, Mr. Monroe.« Das war Fitzwalter. »Welche möchten Sie zuerst hören?«
Will hob langsam den Kopf. Er hatte vierzig Minuten in dieser Zelle verbracht, aber ihm kam es vor wie vierzig Nächte. Sein Vater hatte ihm aufgetragen, sich auf das erste der verlesenen Rechte zu berufen und nichts weiter zu sagen. Als Fitzwalter sicher war, dass Will dabei bleiben würde, hatte er die Vernehmung beendet und ihn einsperren lassen.
»Die gute Nachricht lautet: Seine Ehren Richter William Monroe senior hat telefonisch mitgeteilt, dass er auf dem Weg von Sag Harbor hierher ist.«
Die Stimme seines Vaters hallte in seinem Kopf, so hörbar wie am Telefon: erst schlaftrunken, dann erschrocken, dann streng, dann enttäuscht, schließlich entschlossen. Da Will seine Jugend dreitausend Meilen weit von seinem Vater entfernt verbracht hatte, war ihm der Übergangsritus des Teenagers erspart geblieben: Er
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