Die Gerechten
über die Identität des wahren Mörders schwadronierte – »Er hat durchdringende blaue Augen!« – und eine Bibel verlangte. Das wäre gut und schön, wenn er wirklich schuldig wäre und auf verminderte Zurechnungsfähigkeit plädieren wollte, aber jemand, der als freier Mann aus dem Revier spazieren wollte, nachdem er die Polizei davon überzeugt hatte, dass er unschuldig und bei geistiger Gesundheit war, würde sich tunlichst unauffällig verhalten.
Also wartete er auf seinen Vater. Er ging auf und ab und brannte darauf hinauszukommen. Endlich erschien William Monroe Sr. Er trug eine verschlissene Segeljacke, und er sah erschöpft aus. Seine Augen waren rot gerändert, und Will fragte sich, ob er geweint hatte.
»Gott sei Dank, William.« Der Richter schloss seinen Sohn in die Arme und legte die Hand an seinen Hinterkopf. »Ich habe mich gefragt, was um alles in der Welt du getan haben könntest!«
»Vielen Dank, Dad«, sagte Will und löste sich von seinem Vater. »Schön, dass du so viel Vertrauen zu mir hast. Aber wir haben keine Zeit zum Reden. Hast du mitgebracht, was ich wollte?«
Sein Vater nickte betrübt und resigniert wie einer, der einen Sohn bei Laune zu halten hatte, der von den Stimmen in seinem Kopf faselte oder hundert Dollar verlangte, um sich eine Dröhnung Crack zu beschaffen. »Hier.«
Will riss ihm die Bibel aus der Hand. »Pass auf, Dad. Seit Beth entführt wurde, bekomme ich Kurznachrichten von einem anonymen Informanten, verschlüsselte Hinweise, die anscheinend erklären sollen, was hier im Gange ist. Hier ist die Letzte.« Er hielt sein Handy hoch.
Paul, sortiere die Buchstaben von Hirte Korn (1, 7, 29).
»Was zum Teufel soll das heißen?«
Will erläuterte hastig: »›Hirte Korn‹ ist ein Anagramm von »Korinthen. Die Zahl Eins bezieht sich auf den ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther – und es muss Kapitel sieben sein, Vers neunundzwanzig. Deshalb wollte ich eine Bibel haben. Und hier steht: ›Das sage ich aber, liebe Brüder: Die Zeit ist kurz.‹ Er gerät allmählich in Verzweiflung.«
»Will …«
»Moment, Dad. Ich muss dir etwas erklären. Ich weiß, dass es bizarr klingt, aber im Mittelpunkt dieser ganzen beschissenen Geschichte scheint eine religiöse Hypothese aus dem Judentum zu stehen. Dabei geht es um außergewöhnliche Güte.«
Das Mitleid im Blick seines Vaters verwandelte sich in Ungeduld. »Will, was um alles in der Welt redest du da? Die Polizei hat dich heute Nacht wegen Mordverdachts festgenommen! Ist dir klar, in welchen Schwierigkeiten du steckst?«
»O ja, Dad, glaub mir, das weiß ich. Ich sitze denkbar tief in der Scheiße. Tiefer, als du wahrscheinlich ahnst. Aber hör mir zu und lass mich zu Ende erzählen. Die Chassiden, die Beth festhalten, behaupten, dass irgendjemand – und nach allem, was ich weiß, können sie es sogar selbst sein – gute Menschen ermordet. Außergewöhnlich gute Menschen. Nicht nur hier, sondern überall auf der Welt. Heute Nacht war ich um Haaresbreite Zeuge eines dieser Morde. Wenn die Chassiden mit ihrer Hypothese Recht haben, war der Mann, der heute Nacht ermordet wurde, ein so genannter Gerechter. Darum wollte ich, dass du das hier siehst.«
Er zog seinen Blackberry aus der Klarsichthülle der Polizei, startete den Internet-Browser und rief Google auf. Dann gab er die Worte Bitensky und Lower East Side ein.
Die Google-Suche dauerte auf dem kleinen Gerät ein wenig länger, aber schließlich erschien die Liste der Ergebnisse. Eine Website über Biomedizin. Etwas über einen klassischen Pianisten. Und ein Link zum Downtown Express, der »Wochenzeitung für das untere Manhattan«. Er klickte darauf, wartete eine Ewigkeit, bis die Seite geladen war, und scrollte dann nach unten. Es war ein Archivauszug, vielleicht zwei Jahre alt. Er betete zum Himmel, dass er etwas Handfestes enthalten würde, womit Monroe Sr. sich überzeugen ließe, dass sein Sohn noch nicht völlig von Sinnen war.
Bewohner eines Apartmentgebäudes in der Greenstreet erlebten diese Woche einen kalten Beginn des Passah-Festes, als das Gebäude am Dienstag wegen eines Feueralarms geräumt werden musste. Es war schon nach Mitternacht, als Dutzende Hausbewohner sich im Park versammelten, während die Feuerwehr das Haus inspizierte, ehe sie es wieder zum Betreten freigab.
Die meisten Leute trugen Pyjamas und Bademäntel, aber eine Gruppe war voll bekleidet: Sie war beim traditionellen seder gewesen, der oft bis in die frühen
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