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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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kleine Rollenumkehr bereitete ihm klammheimliches Vergnügen. Nachdem er jahrelang im Widerschein der steilen Karriere seines Vaters gelebt hatte, war es jetzt an ihm, dem Ruf der Arbeit zu folgen. Er winkte seinem Vater zum Abschied zu. »Mach’s gut«, flüsterte der ältere Mann.
    Draußen winkte Will ein Taxi heran. Der Fahrer hörte eben die Nachrichten auf NPR. Will bat ihn, das Radio lauter zu stellen. Nicht, dass er Nachrichten über Brownsville erwartet hätte – er tat es einfach immer, im Taxi und sogar in Geschäften und Cafés. Er war schon als Teenager ein Nachrichten-Junkie gewesen.
    Die Hauptmeldung hatte er verpasst, und sie waren schon bei den Auslandsnachrichten. Eine Meldung aus Großbritannien; anscheinend war der Schatzkanzler, Gavin Curtis, in Schwierigkeiten. Will spitzte die Ohren. Entschlossen, der Times zu beweisen, dass seine Talente über die Lokalredaktion hinausgingen, und den Chefs klarzumachen, dass er in Oxford Wirtschaftswissenschaft studiert hatte, hatte er schon an seinem zweiten Tag bei der Zeitung einen Artikel für den »Wochenrückblick« eingereicht. Sogar eine Headline hatte er entworfen: »Gesucht – ein Banker für die Welt.« Der Internationale Währungsfonds suchte einen neuen Leiter, und es hieß, Curtis sei der Spitzenkandidat für den Posten.
    »… wurden die Vorwürfe erstmals in einer britischen Zeitung erhoben«, sagte die NPR-Stimme, »die ›Unregelmäßigkeiten‹ auf den Konten des Ministeriums entdeckt haben wollte. Ein Sprecher des Ministers hat heute jeden Korruptionsverdacht entschieden zurückgewiesen.« Will machte sich eine Notiz, während eine Erinnerung in ihm aufstieg. Er unterdrückte sie sofort.
    Im Augenblick gab es Dringenderes. Er wühlte sein Handy aus der Tasche und schickte Beth eine kurze Nachricht. Sie teilte inzwischen seine britische Leidenschaft für SMS-Messages. Sein Daumen brachte es nach Jahren der Übung zu übernatürlicher Geschwindigkeit, und er tippte Zahlen, die zu Buchstaben wurden: »Mein erster Mordfall! Komme spät. Lieb dich.«
    Jetzt sah er sein Ziel schon vor sich. Rote Lichter kreisten lautlos in der Septemberdunkelheit; sie saßen auf den Dächern zweier Streifenwagen des NYPD, die Kühler an Kühler voreinander standen. Die beiden Wagen bildeten ein pfeilförmiges Dreieck, das einen Teil der Straße abschirmte. Vor ihnen war ein eilig aufgezogener Kordon aus gelben Polizeibändern. Will bezahlte das Taxi, stieg aus und sah sich um. Heruntergekommene Mietshäuser.
    Er ging auf das erste Absperrband zu, und eine Polizistin kam ihm entgegen, um ihn aufzuhalten. Sie sah gelangweilt aus. »Kein Zutritt, Sir.«
    Will suchte in der Brusttasche seiner Leinenjacke. »Presse?«, fragte er mit hoffentlich gewinnendem Lächeln und hielt ihr seinen frisch gedruckten Presseausweis entgegen.
    Sie schaute weg und winkte knapp mit der Hand. Okay.
    Will duckte sich unter dem Absperrband hindurch und ging auf eine Gruppe von vielleicht einem halben Dutzend Leuten zu. Reporter. Ich komme spät, dachte Will verärgert. Einer war in seinem Alter – groß und mit unglaublich glattem Haar und unnatürlich gepudert aussehender Haut. Will war sicher, dass er ihn kannte, aber er wusste nicht, woher. Dann sah er den gekräuselten Draht, der aus seinem Ohr kam, und erinnerte sich: natürlich, Carl McGivering von NY1, dem 24-Stunden-Nachrichtensender im New Yorker Kabel. Die übrigen waren älter, und die abgegriffenen Presseausweise, die sie um den Hals trugen, ließen erkennen, woher sie kamen: Daily News, Post, Newsday und eine ganze Reihe von Lokalblättern.
    »Bisschen spät, Junior«, sagte der Knorrigste unter ihnen, anscheinend der Altmeister der Kriminalreporter. »Was hat dich aufgehalten?« Die Sticheleien der alten Hasen, das hatte Will schon in seinem ersten Job beim Bergen Record in New Jersey gelernt, gehörten zu den Dingen, die ein Reporter wie er einfach schlucken musste.
    »Aber ich würde mir an deiner Stelle kein Bein ausreißen«, sagte der alte Mann von Newsday. »Ein Bandenmord von der Feld-Waldund-Wiesensorte. Messer sind anscheinend in letzter Zeit große Mode.«
    »›Messer: die neuen Pistolen‹ – könnte ein schicker Artikel fürs Moderessort werden«, witzelte der von der Post und rief damit großes Gelächter hervor. Will hatte das Gefühl, er habe eine Versammlung des Reporter-Veteranen-Vereins gestört. Vermutlich war das eine Spitze gegen ihn, die andeuten sollte, dass er (und vielleicht auch die Times)

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