Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
brandenburgischen Prignitz. In einem Hügel von mehr als 60 Meter Durchmesser und 10 Meter Höhe liegt dort eine Grabkammer verborgen, die aus neun großen Findlingen errichtet, mit Lehm verputzt und rot ausgemalt wurde. Drei Tote fanden in dieser aufwendig errichteten Begräbnisstätte ihre letzte Ruhe, ihnen beigegeben waren ein Schwert und allerlei Gerätschaften wie Rasiermesser, Geschirr, Ringe, Messer und ein Kamm. Das Seddiner Monument stammt aus der jüngeren Bronzezeit, um 800 vor Christus. Bald danach war es mit dem hohen Aufwand für Verstorbene, der ja auch eine bedeutende Kulturleistung darstellt, vorbei. Und während die Jastorf-Germanen beschaulich vor sich hinwerkelten, kam es den Kelten weiter südlich überhaupt nicht in den Sinn, vom bronzezeitlichen Protz zu lassen. Dort ließen es sich Angehörige der Oberschicht nach Kräften gutgehen, sie speisten wie Griechen oder Etrusker von feinem Geschirr, besaßen goldenes Geschmeide und ließen sich in zwei- und vierrädrigen Wagen durch die Lande kutschieren.
Dass es in all den Jahrhunderten weiträumige Handelsverbindungen gab, ist archäologisch belegt. Bis hinauf nach Dänemark sind prachtvolle Stücke aus hochqualifizierten Werkstätten gelangt, wie zum Beispiel der silberne Kessel von Gundestrup zeigt; er kam wahrscheinlich aus dem heutigen Rumänien oder Bulgarien nach Norden. Die importierten Wagen von Dejbjerg, die wohl dem Repräsentationsbedürfnis eines dänischen Großen dienten, zeugen von der hohen Kunstfertigkeit keltischer Handwerker. Um die norddeutsche Tiefebene aber machten die schönen Dinge der damaligen Zeit einen großen Bogen. Konnte das nur Zufall sein?
Der Hamburger Archäologe Brandt hat eine Theorie. Beim Nachdenken über die sozialen Verhältnisse, wie sie sich in den Jastorf-Funden zeigen, fiel ihm auf, dass die frühen Germanen anscheinend alle ziemlich gleich arm gewesen sind, und das über lange Zeit. Das Zusammenleben könnte also einem Muster gefolgt sein, das in der Kulturanthropologie als »segmentäre Gesellschaft« bezeichnet wird. Das bedeutet: Das Leben spielt sich überwiegend in der Familie oder im etwas größeren Familienverband ab. Übergeordnete Stammes- oder Volksinteressen treten völlig in den Hintergrund. Damit die Clans friedlich miteinander auskommen, halten sie sich an bestimmte Regeln, die zum Beispiel festlegen, wer wen heiraten darf. Streitfragen handeln die Patriarchen untereinander aus.
Typisch für solche Gesellschaften sei, so Brandt, dass wenige Menschen in einem großen Gebiet siedeln: »Man kann sich im Regelfall aus dem Weg gehen.« Trotzdem herrscht beträchtlicher sozialer Druck, wenn es um die Verteilung der Güter geht. Kurz gesagt: Wer hat, muss geben. So ist der Anreiz gering, Überschüsse zu produzieren. Macht basiert in einer Gruppe, die solche Regeln verinnerlicht hat, nicht auf Reichtum, sondern auf dem Vermögen, andere zu beschenken. Wer bekommt, ist der »soziale Schuldner«; wer gibt, ist der Chef.
Mag sein, dass das alles ein wenig romantisch klingt, nach einfachem Leben und ökologischer Landkommune. Aber eine bessere Idee, warum die frühen Germanen mit so wenig zufrieden waren, muss erst mal jemand haben.
JOCH UND YOGA
Linguisten erforschen die indogermanischen Sprachen.
Von Dietmar Pieper
Man muss nicht unbedingt Sanskrit können, um zu erahnen, was die alten Inder meinten, wenn sie von »matar« und »pitar«, »svasar« und »bhratar« sprachen. Man muss auch kein Lateiner sein, um »mater« und »pater«, »soror« und »frater« richtig zu deuten. Die Wörter, mit denen die Sprecher dieser Sprachen ihre nächsten Verwandten bezeichneten, haben sich im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende erstaunlich gut gehalten. Die althochdeutschen Vokabeln »muoter« und »fater«, »swester« und »bruoder« gingen seit dem Zeitalter der Karolinger fast unverändert von Mund zu Mund.
Wörter mit einem hohen lautlichen Trägheitsmoment sind ein Segen für Linguisten – wie Inseln erheben sie sich aus dem wogenden Meer des Sprachwandels. Und wenn dieselben Dinge in verschiedenen Sprachen mit ähnlichen Lautfolgen bezeichnet werden, liegt der Schluss nahe, dass es sich um verwandte Sprachen handelt. So gehören Sanskrit, Latein und Deutsch zur indogermanischen Sprachfamilie, ebenso Russisch oder Gälisch.
Wie es bei Familien Usus ist, haben die Wissenschaftler auch für die von ihnen untersuchten Sprachen Stammbäume und Ahnentafeln erstellt. Und je weiter sie in der
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