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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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Zeit zurückgehen, desto kniffliger wird die Sache. Die schriftlichen Zeugnisse werden spärlicher und fehlen schließlich ganz. Trotzdem sind die Forscher in der Lage, uralte Wörter und Wortstämme herauszufinden, teilweise bis zurück zur rekonstruierten Stammsprache, die als Indogermanisch oder Indoeuropäisch bezeichnet wird. In der Literatur sind die erschlossenen Vokabeln mit einem Sternchen gekennzeichnet. So gilt zum Beispiel (*)ekwos als Ausdruck für »Pferd«, ganz ähnlich dem lateinischen »equus«. Das heutige »Kinn« ist im (*)genu oder (*)gneus erkennbar, ebenso das »Joch« im jahrtausendealten (*)yugom (das im Übrigen auch die Wurzel des Wortes »Yoga« ist).
    Wichtige Leitlinien bei der sprachwissenschaftlichen Knobelei sind Lautgesetze. Es gilt als gesichert, dass der Sprachwandel nicht rein zufällig verläuft, sondern jeweils auch bestimmten Gesetzen unterliegt. Diese komplexen Regeln sollen erklären, warum aus dem Laut »p« wie in »pater« ein »f« wie in »fater« wird; oder aus einem »h« wie lateinisch »hostis« ein »g« wie in »Gast«. Eine eigenständige Form des Germanischen entstand ungefähr zur Zeit der Jastorf-Kultur in der Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus.
    Das Ergebnis des epochalen Wandels wirkt in allen Sprachen dieser Linie weiter, wie auch durch schriftliche Quellen belegt ist. Im Zuge der germanischen Lautverschiebung wurde zum Beispiel aus dem lateinischen »cornu« später das gotische »haurn« (Horn), aus »captus« (Lateinisch für »gefangen«) das althochdeutsche »haft«.
    Eines der frühesten Zeugnisse germanischer Schriftsprache blieb auf einem eisenzeitlichen Bronzehelm erhalten, der wohl um 500 vor Christus geschmiedet und sehr viel später vergraben wurde. Auf dessen Krempe ist die Inschrift »harigastiteiva« zu entziffern. Der Wiener Germanistikprofessor Robert Nedoma sieht darin »drei germanische Lexeme«, die urgermanischen Wortwurzeln (*)harja-, (*)gasti- und (*)teiwa-. Im Kern scheint es sich um einen Namenszug zu handeln – der Besitzer hätte also seinen Helm gekennzeichnet, vielleicht, damit es zu keiner Verwechslung mit dem Helm eines Kameraden kommen konnte oder als Schutz vor Dieben.
    Nedoma hält es für »denkbar, dass jener Harigast in die Kämpfe zwischen räuberischen Alpenstämmen und den Städten Oberitaliens, die im 3. oder 2. Jahrhundert vor Christus stattfanden, involviert gewesen sein könnte«. Es bleibt, wie so oft bei den Germanen, viel Raum für Spekulation.

TEIL II
KRIEGER UND
KOLONISTEN

Dunkles Sumpfland
    Lange dauerte es, bis antike Forscher Genaueres über Nordeuropa erkundet hatten. Die Bewohner der kalten Zone galten als Unholde – nur ein paar seltene Handelsgüter reizten die Mittelmeerwelt.
    Von Kristina Maroldt
    Wunderliche, geradezu gespenstische Gegenden sind es, in die sich der Grieche Pytheas von Massalia Ende des 4. Jahrhunderts vor Christus wagt. »Ich habe … ein merkwürdiges Gemisch, einer Meerlunge ähnlich, gesehen«, notiert der Geograf spürbar irritiert, »in dem Land und Meer und alle Dinge schweben.« Ihm sei die Gegend gezeigt worden, »wo sich die Sonne schlafen legt«, »geronnenes Meer« und Erdzonen, »in denen nur einmal im Jahre Tag und einmal Nacht ist«.
    Noch heute streiten die Forscher darüber, wo genau der Gelehrte die mysteriösen Beobachtungen wohl gemacht hat. Handelt es sich bei der »Meerlunge« um das Wattenmeer der Nordsee? Ist das »geronnene Meer« vielleicht die zu Eis erstarrte See vor der nordnorwegischen Küste? Gut möglich. Denn Pytheas von Massalia ist der erste Mensch, der den Nordrand der damals bekannten Welt und damit auch die Gebiete der Germanen mit wissenschaftlichen Methoden erkundet und später darüber berichtet.
    Seine Forschungsreise verändert das Weltbild der alten Griechen ebenso gründlich wie die Persien- und Indien-Feldzüge seines Zeitgenossen Alexander des Großen. Denn während der makedonische König den antiken Horizont bis weit über den Indus gen Osten erweitert, lichtet der Geograf aus der griechischen Kolonie Marseille endlich ein wenig die Nebel, die die Länder im fernen Norden verhüllen.
    Das Zinn und den Bernstein von dort, über Nordsee, Rhein, Elbe und Donau mühsam in den Süden transportiert, kennen und schätzen die Mittelmeeranrainer zwar durchaus. Von den Menschen, Tieren und Pflanzen jenseits der Donau haben sie aber nur äußerst diffuse Vorstellungen. Und »Germanen« werden sie die fernen Völker sowieso erst 250

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