Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
vollen Eisenzeit, der von den Germanen geschaffen wurde, zur selben Zeit, in der die Kelten ihren Latène-Stil entwickelten«.
Was wissen wir heute über das Leben dieser Menschen? Sie waren Ackerbauern und Viehzüchter, die verstreut auf Gehöften oder in kleinen Dörfern wohnten. Unter den Getreidearten kam der Gerste die größte Bedeutung zu, aber auch Hafer und Rispenhirse, Weizen und Roggen sorgten dafür, dass die Leute satt wurden, dazu Erbsen, Bohnen und Linsen. Man baute gern auf sandigen Böden an, weil die Äcker dort mit den primitiven hölzernen Hakenpflügen recht gut zu bearbeiten waren. Wichtigstes Haustier war das Rind, das lange gehalten wurde, um Kälber und Milch zu produzieren. Gefundene Siebgefäße lassen darauf schließen, dass die Milch gern zu Käse verarbeitet wurde. Als Mahlzeit auf den Tisch kamen auch Schweine, Schafe und Ziegen. Hunde dürften Wächter sowie Begleiter bei der Jagd gewesen sein. Für die Ernährung scheinen Jagd und Fischfang allerdings keine sehr große Rolle gespielt zu haben.
Ein Dorf mit 200 bis 300 Einwohnern wird wohl schon als stattliche Siedlung gegolten haben. Ein verbreiteter Gebäudetyp der Jastorf-Germanen war das Pfostenhaus. Dabei wurden die tragenden Holzpfosten bis zu einen Meter tief in den Boden gerammt, als Wände dienten Blockbohlen oder Flechtwerk mit Lehm. Architektonisch ist das Pfostenhaus ein Vorläufer des Fachwerkhauses, das viel später im Mittelalter aufkam. Hauptproblem der alten Bauweise war die Fäulnis. Die in der Erde steckenden Pfosten verrotteten im Lauf von zwei bis drei Jahrzehnten so stark, dass sich die Häuser nicht mehr reparieren ließen – der Umzug in einen Neubau erwies sich als unumgänglich. Auch die Böden waren dann häufig ausgelaugt, so dass die ganze Dorfgemeinschaft ihre Sachen packte und in der Nähe neu anfing. Dabei orientierte man sich gewöhnlich an einem sakralen Ort, dem Friedhof, der das Zentrum solcher Wanderungsrunden bildete. »Der Platz, an dem die Ahnen lagen, war stets der Fixpunkt für die Besiedlung«, sagt der Archäologe Rainer-Maria Weiss, der das Helms-Museum in Hamburg leitet.
Der Totenkult war allem Anschein nach schlicht, die Beigaben deuten darauf hin, dass man die Verstorbenen für ein Weiterleben nach dem Tod ausstatten wollte. Über die spirituelle Welt der frühen Germanen weiß man wenig. Bekannt sind zum Beispiel Seen, Moore, Flüsse, Steinhaufen und Siedlungen als kultische Orte. Knochenfunde lassen auf vereinzelte Menschenopfer schließen. Beliebte Opfertiere scheinen Pferde und Hunde gewesen zu sein. Primitive Holzidole könnten übernatürliche Wesen versinnbildlicht haben. Aus der bäuerlichen Lebensweise der Menschen lässt sich herleiten, dass sie Anhänger von Fruchtbarkeitskulten waren.
Ein langes Leben war den frühen Germanen nur selten beschieden. Wer nicht schon der hohen Kindersterblichkeit zum Opfer gefallen war, litt häufig unter Mangelernährung, Strapazen und Krankheiten. Aus den Friedhofsfunden geht hervor, dass die mittlere Lebenserwartung bei Anfang bis Mitte 30 lag. Das mit 60 Jahren beginnende Greisenalter erreichten wohl nur einige wenige.
Grabanlagen aus der Jastorf-Ära gibt es eine ganze Menge. In manchen ruhen nur einige wenige Urnen, bei anderen handelt es sich um Großfriedhöfe mit mehreren tausend Toten. Der forschende Blick des Archäologen findet viele Unterschiede im Stil der Beigaben, zwischen verschiedenen Urnenmustern und Bestattungsmethoden. Manchmal sticht auch eine besondere Kostbarkeit hervor, ein Halsring, ein Kettengehänge. In Grabstellen aus der späten Jastorf-Zeit tauchen gelegentlich Waffen, Reitzubehör oder aus dem Süden importierte Metallgefäße auf.
Aber von Glanz und Prunk kann viele Jahrhunderte lang keine Rede sein. Alles in allem muss man sagen: Die frühen Germanen führten das karge Leben bescheidener Bauern. Bloß warum? Wieso gibt es über einen langen Zeitraum nur wenig Veränderung? Weshalb sieht ein kundiger Experte wie der Archäologe Jochen Brandt vom Helms-Museum sogar »riesige Rückschritte« im Vergleich zur Bronzezeit? Brandt fasst zusammen: »Die archäologischen Quellen deuten auf eine kaum differenzierte und ärmliche Bevölkerung hin, die in der mitteleuropäischen Vorgeschichte seit der Jungsteinzeit kaum etwas Vergleichbares findet.«
Um den Bruch zu veranschaulichen, der hierzulande die Eisenzeit von den früheren Kulturstufen trennt, lohnt ein Blick auf das sogenannte Königsgrab von Seddin in der
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