Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Germanen jenseits des Rheins, die das Gefüge im Vorfeld der Gallia Narbonensis veränderten. Sie kamen in größeren und kleineren Gruppen. Sie wurden mal zu Hilfe gerufen, mal kamen sie aus eigenem Antrieb. Lange blieben solche ethnischen Bewegungen ohne Folgen. Allerdings zogen zum Beispiel die Helvetier daraus die Konsequenz, aus Südwestdeutschland ins Gebiet der heutigen Schweiz auszuweichen.
Dann und wann schloss Rom politische Freundschaftsbündnisse mit gallischen Stämmen, zum Beispiel mit den Häduern, die eine Vormachtstellung zwischen Sâone und Loire errungen hatten. Um die Häduer zu besiegen, holten deren Rivalen, die Sequaner, einen germanischen Fürsten aus dem Stamm der Sueben zu Hilfe, der eine große Gefolgschaft um sich gesammelt hatte. Er hieß Ariovist, besiegte die Häduer und löste damit ein gewisses Echo in Rom aus. Der Senat beauftragte den Statthalter der Gallia Narbonensis, »die Häduer und die anderen Freunde des römischen Volkes zu schützen, soweit es ohne Nachteile für die Republik möglich ist«.
Der Auftrag fiel hinreichend ungenau aus. Cäsar, in dessen Konsulat der siegreiche Ariovist sogar als »König und Freund« anerkannt worden war, konnte die Initiative ergreifen und den Häduern Genugtuung widerfahren lassen, oder er konnte es bleiben lassen. Wofür er sich auch immer entschied, ließ sich mit dem Auftrag Roms begründen. So begab es sich, dass Cäsar, auf Größe bedacht, auf Ariovist traf, dem man ebenfalls unterstellen darf, dass er groß von sich dachte.
Wer Cäsar war, weiß die Nachwelt zur Genüge. Von Ariovist wissen wir weitaus weniger. Es ist nicht einmal bekannt, woher er kam, aber auch er regte die Phantasie der Nachwelt an, weil er Cäsar von gleich zu gleich entgegentrat. Der Schriftsteller Siegfried Fischer-Fabian schrieb imaginationsstark über »Die ersten Deutschen«, zu denen er Ariovist zählte. »In Ariovist war den Germanen eine Persönlichkeit neuen Typs erwachsen. Er war mit Tugenden ausgerüstet, die sich von denen seiner Vorgänger diametral unterschieden: An die Stelle der Tollkühnheit war besonnener Mut getreten, berserkerhafte Todesverachtung wurde ersetzt durch Disziplin, blindes Drauflosstürmen durch strategisches Kalkül, Biedersinn durch staatsmännisches Denken.« Fischer-Fabian setzt Ariovist von den Kimbern und Teutonen ab, den germanischen Stämmen aus Jütland, die 50 Jahre zuvor zum Alptraum der Römer geworden waren.
Was Ariovist konnte, zeigte er erstmals, als er für die Sequaner die Häduer besiegte. Dafür zog er mit einem Heer aus 15000 Mann über den Rhein und triumphierte im Jahr 61 bei Magetobriga (vermutlich in Burgund gelegen). »Ariovist konnte hier zum ersten Mal sein strategisches Genie beweisen und vor allem seine Fähigkeit, kalten Blutes abzuwarten, bis der entscheidende Moment des Zuschlagens gekommen schien«, windet ihm sein Biograf Fischer-Fabian Kränze.
Tatsächlich verhielt sich Ariovist nach der strategischen Art der Römer. Er verschanzte sich in einem Lager, das umgeben war von Sümpfen, mied eine große Schlacht, da die Häduer an Zahl überlegen waren, und baute darauf, dass sich Unruhe im Heer des Feindes ausbreiten würde. Unruhe entstand immer dann, wenn es an Vorräten mangelte. Truppen brauchten Proviant. Große Truppen brauchten viel Proviant. Daraus entwickelte sich regelmäßig ein Geduldsspiel. Wer zuerst in Not geriet, hatte so gut wie verloren. Kimbern und Teutonen hatten sich zu ihrem Nachteil getrennt, weil getrennte Heere leichter zu versorgen waren.
Von den Sequanern verlangte Ariovist nach seinem Sieg Land und siedelte sich wahrscheinlich im Gebiet um Straßburg, Worms und Speyer an. Er zog immer neue germanische Stämme nach, forderte für sie neues Land und beherrschte alsbald Ostgallien. Er heiratete, zusätzlich zu seiner germanischen Frau, die Schwester des Königs von Noricum (einem Keltenreich um Salzburg, die Steiermark, Kärnten und Oberösterreich). Seine Macht und sein Einfluss wuchsen.
So stieg Ariovist in Gallien zu einer Größe auf, die Cäsar ins Auge stechen musste. Unglücklicherweise gibt es kaum germanische Zeugnisse über die historische Konfrontation zwischen Cäsar und Ariovist. Auch hier hält der Römer das Monopol. Er erzählt in »De bello Gallico«, dass nach seinem Sieg über die Helvetier prominente gallische Abgesandte verschiedener Stämme ihn um ein Geheimgespräch ersuchten:
Als Cäsar sich einverstanden erklärte, warfen sie sich ihm alle
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