Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
weinend zu Füßen. Der Häduer Diviciacus übernahm es, für die Gallier zu sprechen: Es gebe zwei Parteien in ganz Gallien. Die eine werde von den Häduern geführt, die andere von den Avernern. Nachdem beide viele Jahre lang erbittert um die Vorherrschaft gestritten hätten, sei es dahin gekommen, dass die Averner und die Sequaner germanische Söldner geworben hätten. Zunächst seien etwa 15000 über den Rhein gekommen. Als sich jedoch diese wilden und barbarischen Menschen an die Vorzüge des fruchtbaren gallischen Landes und den dort herrschenden Reichtum gewöhnt hätten, seien noch mehr Stammesgenossen über den Rhein geholt worden. Gegenwärtig befänden sich daher in Gallien schon etwa 120000 Germanen. Die Häduer und die Stämme, die unter ihrem Schutz stünden, seien gezwungen gewesen, mit ihnen zu kämpfen. Sie seien ihnen jedoch unterlegen, hätten große Verluste hinnehmen müssen und Adel, Rat und Reiterei völlig eingebüßt. Den siegreichen Sequanern sei jedoch noch Schlimmeres zugestoßen, denn Ariovist, der König der Germanen, habe sich in ihrem Land niedergelassen. In wenigen Jahren werde es dahin kommen, dass sie alle aus dem gallischen Gebiet vertrieben würden, während die Germanen alle über den Rhein kämen.
Cäsar schreibt Diviciacus auch die Charakterisierung Ariovists zu: Der regiere selbstherrlich und grausam, fordere Adelskinder als Geiseln, die er bestrafe und foltere. Er sei ein jähzorniger und unberechenbarer Barbar. »Wenn die Gallier bei Cäsar und dem römischen Volk keine Unterstützung fänden, bliebe ihnen nur übrig auszuwandern, um fern von den Germanen eine neue Heimat und neue Wohnsitze zu finden.« Barbaren gegen kultivierte Römer. Wilde gegen eine erfahrene Weltmacht. Ein klassischer Gegensatz und die klassische Geschichtsschreibung des Siegers, der den Besiegten militärisch groß und kulturell klein darstellt.
Mit seiner Klage liefert Diviciacus dem römischen Statthalter einen klinisch sauberen Kriegsgrund. Er stand in Einklang mit seinem Auftrag, die Verbündeten Roms zu beschützen, und er erfüllte auch Ciceros Bedingung für einen gerechten Krieg, da es ja um die Abwehr der Feinde ging. Damit war eine begrenzte Auseinandersetzung innerhalb Galliens in den Stand der Weltgeschichte gehoben worden.
Das Drama beginnt, indem Cäsar durch Gesandte Ariovist um eine Unterredung ersucht. Dabei umtänzeln sich die Kontrahenten mit Worten. Ariovist antwortet auf den Wunsch nach einer Begegnung, wenn er, Ariovist, einen Grund hätte, mit Cäsar zu sprechen, würde er es so halten, dass er Cäsar aufsuchen würde. So konsequent möge doch auch Cäsar sein. Im Übrigen stellt Ariovist die Frage, was Cäsar eigentlich in diesem Gallien zu suchen habe – Ariovist sagt dazu: mein Gallien. »Das sind tatsächlich stolze Worte, Worte eines Souveräns, der von sich selbst überzeugt ist und seines Ranges so bewusst, dass ihm auch eine Weltmacht nicht zu imponieren vermag«, schreibt Fischer-Fabian.
Nach dieser Verweigerung eines persönlichen Treffens stellt Cäsar dem Germanen ultimative Forderungen: keine weitere Gefolgschaft von jenseits des Rheins, Freigabe der Häduer-Geiseln, Angriffsverzicht. Cäsar, der Geschichtsschreiber, lässt Ariovist diese Antwort geben: »Wenn es Cäsar gelüstet, so mag er kämpfen: Dann wird er sehen, was die unbesiegten Germanen zu leisten vermögen, Männer, die im Gebrauch der Waffen geübt und 14 Jahre lang unter kein Dach gekommen sind.« Stolze Worte. Ein Gegner, Cäsars würdig. So beschreibt Cäsar seinen Gegner Ariovist.
Als Cäsar zugetragen wurde, dass Nachschub für die Germanen unterwegs sein sollte, ergriff er die Initiative und brach mit seinen Legionen auf. Er richtete sich in Vesontio (Besançon) ein, der Hauptstadt der Sequaner, gelegen zwischen Fluss und Berg, ausgerüstet mit einem Proviantlager. Gute Voraussetzungen für kommende Schlachten, doch dann passierte etwas Unvorhergesehenes: Während der kurzen Zeit, die Cäsar wegen der Verpflegung und des Nachschubs bei Vesontio stand, ergriff durch die »Neugier unserer Leute und durch das Geschwätz der Gallier und Kaufleute plötzlich eine solche Angst das ganze Heer, dass sie Kopf und Herz aller in heftigste Verwirrung versetzte«, schreibt Cäsar. Es werde nämlich erzählt, die Germanen seien Menschen von ungeheurer Körpergröße, unglaublich tapfer und in den Waffen geübt; wer mit ihnen zusammengeraten sei, habe noch nicht einmal den Anblick ihrer Gesichter und das
Weitere Kostenlose Bücher