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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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über realhistorische Partikel in der mittelhochdeutschen Saga stützt sich auf Namensähnlichkeiten. Das Modell für Kriemhild soll demzufolge die Frau des Hunnenkönigs Attila (alias Etzel) gewesen sein, deren Name Ildico germanische Wurzeln haben soll. Laut dem gotischen Historiker Jordanes erlag Attila in der Hochzeitsnacht mit Ildico einem Blutsturz. Im Nibelungenlied, so Kaiser, sei dieser plötzliche Tod in eine Gewalttat von Ildico alias Kriemhild umgedeutet worden: Sie habe Blutrache geübt »für ihre von Attila erschlagene Sippe, worunter die Burgunderkönige verstanden wurden«.
    Historisch gesichert scheint zumindest, dass 436/37 eine Vernichtungsschlacht einem Großteil der Burgunder das Ende bescherte: Hunnen, verbündet mit dem römischen Heerführer Aëtius, vereitelten den vermuteten Versuch der Germanen, sich vom Rhein aus weiter westwärts auszudehnen. Ihr angebliches Reich am Rhein, wo auch immer es gelegen haben mag, hätte demnach gerade 30 Jahre gewährt. Das blutsäuferische letzte Gefecht an Etzels (Attilas) Hof soll im Nibelungenlied den historischen Untergang der Burgunder ausgemalt haben. Die angeblich völlig besiegten und blutig dezimierten Burgunder wurden kurz darauf, 443, von Aëtius um Genf herum angesiedelt – innerhalb weniger Jahre wuchsen sie zu einem beträchtlichen Volk und wurden zu geschätzten Partnern der Römer.
    Zu Beginn des 6. Jahrhunderts regierte der Merowinger Chlodwig fast ganz Gallien – mit Ausnahme des nun tatsächlich existenten Königreichs Burgund, aus dem seine Gattin Chrodechilde stammte. Nach seinem Tod 511 teilten seine Söhne das Reich, Burgund verleibten die merowingischen Könige 543 ihren Reichen ein. In der französischen Region Bourgogne lebt dieser Name heute zumindest als geografischer Begriff fort – und als Herkunftsbezeichnung edler Weine. Wer sich mit denen auskennt, weiß wenigstens, wovon er spricht, wenn er Burgunder schätzt.

Bestien auf zwei Beinen
    Die Hunnen kamen aus der Steppe gestürmt und vertrieben die Germanen, so die Theorie. Aber wer waren Attilas wilde Reiter wirklich?
    Von Annette Bruhns
    An allem waren die Hunnen schuld: Sie »haben sich auf die Alanen geworfen, die Alanen auf die Goten und die Goten auf die Taifalen und Sarmaten; die Goten, aus ihrem eigenen Land vertrieben, haben uns aus Illyricum vertrieben«, klagte der Mailänder Bischof Ambrosius gegen Ende des 4. Jahrhunderts und prophezeite: »Ein Ende ist noch nicht abzusehen.«
    Für die Römer waren die aus dem Osten einfallenden Reiter in der Tat der Anfang vom Ende. 476, genau 100 Jahre nachdem der erste Goten-Treck auf der Flucht vor den Hunnen um Asyl im Römischen Reich gebeten hatte, wurde der letzte Kaiser im Westen abgesetzt. Ein Barbar löste ihn ab: Odoaker, ein Germane, dessen Vater noch unter Hunnen-König Attila gedient hatte.
    Wer aber waren diese Hunnen, die auf ihren Pferden »gleich dem Wirbelwind aus den hohen Bergen« über die Germanen hinwegfegten und damit den Dominoeffekt gen Rom entscheidend auslösten? Woher kamen sie? Und warum? Die Wahrheit ist: Man weiß es nicht. Nach jahrzehntelanger Forschung kam Hans Wilhelm Haussig 1959 zur tristen Einsicht: »Das Wort Hunnen … diente dazu, Völkern, deren Herkunft man nicht kannte, einen Namen zu geben.« Ein niederschmetternder Befund: Als »Hunnen« bezeichneten die antiken Autoren wahllos alle, die sie nicht kannten. Auch Sprachforscher fischen im Trüben. Das Hunnische sei ein »nur negativ definierbarer Begriff«, zitiert der Experte Michael Schmauder den Stand heutiger Wissenschaft. Attilas mächtiges Volk hat keine Sprachfragmente hinterlassen.
    Nicht einmal alle Namen ihrer Anführer gelten als hunnisch. Attila (»Väterchen«) ist ein germanischer Name. Der mächtigste aller »Hunnen« könnte also im schlimmsten Fall sogar germanischer Herkunft gewesen sein – ganz auszuschließen sei das nicht, räumt der britische Historiker Peter Heather ein.
    Da die Hunnen selbst Analphabeten waren, können nur andere Auskunft über sie geben: schriftkundige Männer römisch-griechischer Herkunft. Barbarische Völker galten diesen Autoren per se als minderwertig, und die Hunnen erschienen als die barbarischsten von allen. Überdies kupferten die Chronisten schamlos von den Altvorderen ab. Oft übernahmen sie deren Darstellungen eines längst untergegangenen Nomadenvolks: der Skythen. Ja, sie nannten die Hunnen selbst oft einfach Skythen – genauso, wie einst die ersten hochgewachsenen Goten an

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