Die Germanin
führte sogar den ersten Schlag, um uns alle damit zu treffen!«
»Er wird Arminius umbringen«, jammerte einer der Alten.
»Nein!«, rief Nelda. »Das wird er nicht tun! Dazu ist mein Vater nicht fähig. Er ist kein Mörder. Er wird niemals vergessen, dass es Arminius war, der ihn damals rettete.«
»Vielleicht hat Segestes tatsächlich nicht die Absicht, ihn umzubringen«, sagte Erkulf, in die Runde blickend. »Wenn es vorher aber schon Segithank tut – heimlich im Wald?«
»Der hatte, glaube ich, einen Auftrag, so wie es Inguiomer vermutet«, meinte Tammo. »Sicher nicht, ihn zu töten. Wenn es sich aber nicht vermeiden ließ, dann hat es der scheußliche Lump getan – und Segestes kann den Unschuldigen spielen.«
Dieser Ansicht stimmten mehrere Männer nachdenklich zu.
»Der Dolch!«, rief Nelda plötzlich, die Augen weit offen. »Der blutige Dolch! Es ist nicht der seinige. Vielleicht hat die alte Frau nicht gesehen, dass er schon tot war, als sie ihn auf das Pferd legten, dass sie ihn vorher schon umgebracht hatten. Vielleicht ist er aber auch noch am Leben und nur verletzt…«
Sie trat in die Mitte des Kreises und indem sie sich mal diesem, mal jenem zuwandte, schrie sie: »Warum reden wir noch? Warum steht ihr noch hier herum? Warum tut ihr nichts? Da draußen geschieht ein Verbrechen! Der beste, der edelste Mann ist in höchster Gefahr – oder schon tot. Was seid ihr denn alle ohne ihn? Wer soll euch führen, wenn es zum Kampf kommt? Vielleicht ist es noch nicht zu spät! Wir können ihn retten – wir müssen ihn retten!« Als die Männer noch immer unschlüssig dastanden, fuhr sie, die Fäuste ballend, fort: »Gut! Da sie zögern und lieber schwatzen, gibt es nur eines: Ich muss es tun! Ich werde hinausgehen und ihn finden. Ich rette ihn, wenn er am Leben ist!«
Sie raffte ihr Kleid und lief zu den Leuten der Hundertschaft, die etwas abseits in Gruppen beieinanderstanden und die neue Lage erörterten.
»Männer!«, rief sie. »Wer will mir folgen? Wir müssen ihn suchen – finden – befreien! Wer ist bereit?«
Gleich traten mehrere vor.
Aber im selben Augenblick wurde Nelda am Arm gepackt.
»Bist du von Sinnen?«, herrschte Inguiomer sie an. »Wie kannst du so töricht sein, Nelda? Vielleicht ist es genau das, was dein Vater will – dich hier herauslocken! Wo willst denn suchen? Im Wald, in den Sümpfen? Vielleicht lauern sie schon in Hinterhalten. Oder willst du mit den paar Männern da vor seinen Wehrhof ziehen und dreist fordern, dass er Arminius freilässt? Das dürfte ihn freuen. Das ist vielleicht sogar seine Absicht! Es könnte sein, dass es ihm mehr um dich als um ihn geht. Aber wenn er euch beide bekommt – umso besser! Willst du ihm diesen Triumph bereiten?«
Sie musste einsehen, dass der alte Polterer recht hatte. Was sie vorhatte, war leichtsinnig und nutzlos. Und wenn sie ihrem Vater erst in die Hände fiele, könnte sie nichts mehr für ihren Hiwo tun. Wahrscheinlich würde er sogar zu verhindern wissen, dass sie ihn zu Gesicht bekam. Würde sie ihn überhaupt je wiedersehen? Diese Frage marterte sie. Der blutige Dolch… Sie musste Gewissheit haben, ob er noch lebte.
Das war auch die Ansicht, die sich nach langer Beratung durchsetzte. Die Stammesführer beschlossen, eine Abordnung zu Segestes zu schicken, die herausfinden sollte, was geschehen war. Uneins war man allerdings darüber, wie man sich verhalten sollte, wenn Segestes leugnete, irgendetwas mit dem Verschwinden des Arminius zu tun zu haben. Ihm zu drohen, hatte wenig Sinn, er saß hoch oben auf seinem sicheren Herrenhof. Er wurde auch noch immer von vielen geschätzt, die ihm derartig niedere Machenschaften nicht zutrauten. Nur Inguiomer und Tammo waren fest von seiner Schuld überzeugt, die meisten anderen glaubten an eine Rachetat des rothaarigen Unholds Segithank. Vielleicht hatte er seinen ehemaligen Gefolgsherrn irgendwo in den Sümpfen in ein geheimes Versteck verschleppt, wo er ihn folterte. Vorschläge wurden gemacht, wie man seiner habhaft werden könnte. Ihm aufzulauern, rieten die einen, seinen kleinen Sohn zu entführen, die anderen. Obwohl es bereits recht kühl war, saßen sie, endlos nach germanischer Sitte hin und her redend, die halbe Nacht an den Feuern und dabei wurde nun doch noch, wenn auch in trüber Stimmung, dem Hammelbraten, dem Wildbret, dem Met und dem Bier zugesprochen. Der Sänger trug ein selbst verfasstes Heldenlied auf Segifrit vor, der den gräulichen römischen Lindwurm
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