Die Germanin
die Verpflegung aus. Die anderen sind wohl noch unterwegs, vielleicht haben sie eine Spur.«
»Kommt auf den Hof.«
Die Nacht war mondhell. Nelda stieg immer wieder auf den Wachturm und spähte hinüber zum Waldrand. Schlaf fand sie nicht.
Im Laufe des Tages kehrten zuerst einige der zur Suche ausgesandten Gefolgsleute zurück, dann die übrigen mit einem großen Haufen der Jäger.
Arminius war nicht dabei. Auch andere fehlten.
Die Zurückkehrenden berichteten, dass sie mitten im Wald, auf einem verlassenen Opferplatz, niedergetrampeltes Gras und aufgeworfene Erde entdeckt hätten, was auf einen Kampf, doch allem Anschein nach nicht zwischen Mensch und Tier, schließen ließ. Sie zeigten auch einen Dolch mit verkrustetem Blut, den sie dort gefunden hatten, und ein Stück vom Schaft eines Speers. Der Besitzer des Dolchs war nicht auszumachen, der hölzerne Schaft aber konnte vom Jagdspeer des Vermissten stammen.
Noch eine bange Nacht verging, und erst am Morgen gab es Gewissheit. Die letzten Jagdteilnehmer kehrten zurück. Sie hatten in der Nähe des ehemaligen Opferplatzes ein altes Kräuterweib aufgegriffen, das vor ihnen zu fliehen suchte und, als es eingeholt war, schreiend beteuerte, nichts gesehen und nichts verraten zu haben. Zunächst war nicht mehr aus der Alten herauszubekommen, hartnäckig schwieg sie. Doch ein paar Münzen öffneten ihr schließlich den Mund. Sie hatte zunächst geglaubt, ihre Verfolger wären dieselben Männer, die sie zwei Tage zuvor beobachtet hatte, als sie einen einzelnen Jäger, einen blonden, sehr starken Mann, überfallen hatten. Dieser hatte sich lange gegen die Übermacht der sechs oder sieben Angreifer gewehrt, am Ende jedoch war er niedergeschlagen und in Fesseln gelegt worden. Die Männer hatten ihn quer über ein Pferd geworfen und waren mit ihm verschwunden. Näheres über die Männer aussagen konnte die Alte nicht, nur eines: Der die Befehle schrie, war ein Rothaariger.
»Segithank!«, sagte Inguiomer. »Der Schurke rächt sich dafür, dass er bestraft und fortgejagt wurde!«
»Vielleicht ist er jetzt völlig heruntergekommen«, vermutete Tammo, »und lebt im Wald als Anführer einer Räuberbande.«
»Aber wisst ihr denn nicht«, sagte der bedächtige Erkulf, »dass er jetzt wieder bei Segestes ist?«
»Wie?«, rief Nelda. »Er ist wieder bei meinem Vater?«
»Das könnte ich vor den Göttern bezeugen«, sagte der alte Fürst aus einem der nördlichsten Cheruskergaue. »Eine Zeit lang war es wohl so, wie Tammo sagte. Er zog mit seiner Bande umher, lebte von Totschlag und Raub. Aber das war ihm wohl auf die Dauer zu mühsam. Er kehrte wieder zu deinem Vater zurück; dort soll er ja auch eine Frau und ein Kind haben. Segestes ließ ihn, hörte ich, ein paar Tage und Nächte lang vor dem verschlossenen Tor stehen. Schließlich nahm er ihn aber wieder in seine Gefolgschaft auf.«
»Und dann erteilte er ihm einen Auftrag!«, sagte Inguiomer grimmig. »Zur Bewährung. Den nahm der Schuft nur allzu gern an – und er hatte Erfolg.«
Ratlos standen sie im großen Kreis auf dem Wehrhof. Unterschiedliche Ansichten und Vermutungen wurden geäußert. Segestes hatte sich lange ruhig verhalten. Die römerfeindliche Stimmung im Lande und der Makel des Verräters hatten es ihm geraten sein lassen, eine Zeit lang den Kopf einzuziehen. Er hatte sogar den Hinfälligen gespielt und erreicht, dass sein Sohn Segimund, der sich Arminius angeschlossen hatte, zu ihm zurückkehrte. Dann aber war er gesehen worden, wie er frisch und gesund zu Pferde saß. Er schien über alles, was links und rechts des Rhenus geschah, gut unterrichtet zu sein, denn je stärker die Römer ihre Stellungen auf der germanischen Seite ausbauten, desto großspuriger trat er auf. Abgesandte des Arminius, die ihn aufforderten, sich der Ermahnungen zu erinnern, die ihm die Stammesführer nach seiner Begnadigung mit auf den Weg gegeben hatten, und sich den allgemeinen Vorbereitungen auf einen Abwehrkampf anzuschließen, ließ er abblitzen. Und er machte – das wollten mehrere erfahren haben – schon kein Hehl mehr aus seiner Überzeugung, dass die Rückeroberung der abtrünnigen Provinz Germanien durch die Römer und die Bestrafung der Aufrührer nur noch eine Frage der Zeit sei.
»Und dabei wollte er nicht fehlen!«, folgerte Tammo, der Jüngste im Kreis und einer der streitbarsten Römerfeinde, der immer wieder geäußert hatte, dass es ein Fehler gewesen sei, Segestes damals davonkommen zu lassen. »Er
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