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Die Germanin

Titel: Die Germanin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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besiegte, doch man war nicht in Siegesstimmung und hörte kaum zu. Er bekam wenig Beifall und wurde nur mäßig entlohnt. Schließlich erhob sich einer nach dem anderen und wankte erschöpft und betrunken seinem Nachtlager zu.
    Es war Neldas dritte fast schlaflose Nacht. Bleich, fröstelnd, in ein Umschlagtuch gehüllt hatte sie stundenlang der Beratung der Stammesführer zugehört. Hin und wieder hatte sie Einwürfe gemacht, zur Eile und zu Entschlüssen gedrängt. Dass sich eine Frau in eine solche Beratung mischte, war gegen das Stammesgesetz, doch in dieser außergewöhnlichen Lage nahm niemand Anstoß daran.
    Als alle zur Ruhe gegangen waren und der Morgen schon dämmerte, erklomm Nelda noch einmal einen der Wachtürme. Lange starrte sie in qualvoller Hoffnung zu dem dunklen Streifen des Waldrands hinüber. Plötzlich schwanden ihr die Sinne. Der Wächter musste sie auffangen, sonst wäre sie zu Boden gesunken. Sein Gefährte, der gerade ruhte, räumte für sie seine Pritsche.
    Die Sonne erschien, es wurde Tag.

 
21
     
    Sie schreckte auf, als sie heftiges Klopfen, Wiehern und laute Stimmen hörte.
    Benommen, taumelnd erhob sie sich. Blinzelnd sah sie im Frühlicht unten auf dem Hof den Reiter, um den sich immer mehr Männer scharten.
    Und nun verstand sie auch den Ruf, der sich von einem zum anderen fortsetzte:
    »Die Römer sind da!«
    Sie bewegte die Lippen und wiederholte die Worte, immer noch einmal, bevor sie schließlich den Sinn erfasste. Sie waren da. Die Römer waren gekommen. Was seit fünf Jahren erwartet, befurchtet wurde, war eingetroffen. Sie waren gekommen – und er… er war fort, entführt, vielleicht tot.
    Der Reiter war ein Cherusker aus der Gegend zwischen Lupia und Rura, wo das Stammesgebiet der Marser begann. Als es Inguiomer und Tammo endlich gelungen war, die Männer, die ihn aufgeregt umringten, zurückzudrängen und zum Schweigen zu bringen, konnte er sich verständlich machen. Am Tage zuvor war in seinem Dorf eine Gruppe von Flüchtenden eingetroffen, die Schreckliches, Unerhörtes berichtet hatten. Hunderte, wenn nicht Tausende Marser waren ums Leben gekommen, als plötzlich, mitten in der Nacht, während ihres Festes, die Römer erschienen waren. Im Schutze der Dunkelheit hatten die schwer bewaffneten Legionäre sich angeschlichen, die friedlich Feiernden überfallen und alles, was ihnen vor die Klinge kam, niedergemacht: Betrunkene, Waffenlose, Schlafende, hilflose Alte, fliehende Frauen, schreiende Kinder – alle! Verschont wurde niemand. Die Flüchtlinge waren immer wieder durch Dörfer gekommen, die nur noch rauchende Trümmer waren, zwischen denen die Leichen der Bewohner lagen. Niemals zuvor hatten die Römer in Germanien so grausam gewütet.
    »Aber wie war das möglich?«, rief Tanno. »Hatten die Marser denn keine Wachen aufgestellt? Hat sie niemand gewarnt?«
    »Sie hatten Wachen aufgestellt«, sagte der erschöpfte Bote, der die ganze Nacht hindurch geritten war. »Aber nur auf dem kürzeren Weg, der in gutem Zustand ist. Die Römer kamen durch den Caesischen Wald hinter ihren Wällen hervor und nahmen den längeren. Der ist schwierig, aber es scheint, dass eine Vorhut unter dem verfluchten Caecina ihn gangbar gemacht hat. Dann konnte Germanicus, dieser feige Hund, seine Legionen heranführen und friedlich feiernde Menschen umstellen und niedermetzeln. Doch warum erzähle ich das euch?«, rief er, nachdem er sich seinen verschwitzten Kittel vom Leibe gerissen und sich Wasser über Kopf, Brust und Rücken gegossen hatte. »Wo ist euer Herr? Wo ist Arminius? Ihm muss ich Meldung machen! Er wird wissen, was jetzt zu tun ist!«
    »Arminius ist nicht hier«, sagte Inguiomer. »Er wurde entführt. Und es gibt Gründe anzunehmen, dass diese Entführung und der Überfall auf die Marser etwas miteinander zu tun haben! Oder zweifelt jemand daran?«, rief er mit Flammen sprühendem Blick auf die Männer ringsum.
    Niemand widersprach.
    »Männer!«, rief Tammo. »Ihr habt es gehört: Die Römer stehen an der Grenze unseres Stammesgebietes! Wir, die Cherusker, werden uns nicht so heimtückisch meucheln lassen wie die Marser! Jetzt heißt es handeln! Jetzt können wir zeigen, ob wir verstanden haben, was uns Arminius gelehrt hat! Wir werden kämpfen – und auch diesmal werden wir siegen!«
    Nun war keine Zeit mehr für lange Reden. Inguiomer übernahm das Kommando und die Stammesführer schickten Boten in ihre Gaue. Alle wehrhaften Männer wurden aufgeboten. Der Arminiushof war

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