Die Germanin
germanischen Seite des Rhenus’ dem Erdboden gleich machen. Auch Inguiomer war, wie er zugab, für sofortige Vergeltung eingetreten. Stattdessen hatte Arminius, auf einem Felsbrocken stehend, nur eine kurze Ansprache gehalten und allen für seine Befreiung gedankt, mit trockenen Worten, ohne Leidenschaft, ohne Feuer, ganz anders, als sie es von ihm gewohnt waren. Von ihm aufgefordert, nunmehr in ihre Gaue zurückzukehren, weil kriegerische Vorstöße wegen des nahenden Winters keinen Erfolg mehr versprächen, hatten viele laut ihren Unmut geäußert. Einige Haufen hatten versucht, etwas auf eigene Faust zu unternehmen, indem sie den Bauern im Gau des Segestes Schaden zufügten. Nur Arminius selbst und besonnenen Stammesführern, die sich zum sofortigen Abmarsch in die Heimatgaue entschlossen, war zu danken, dass es nicht zu Plünderungen und Brandschatzungen gekommen war.
Nelda hätte nie für möglich gehalten, dass er sich in kurzer Zeit so verändern konnte. War er früher von einem unerschütterlichen Vertrauen in sein Heil und das Wohlwollen der Götter erfüllt gewesen, schien es, dass ihn unentwegt Zweifel und Ängste plagten. Er verstrickte sich in Grübeleien und suchte nach Fehlern, die er begangen hatte. Nachts murmelte vor sich hin, führte endlose Selbstgespräche, die nicht einmal endeten, wenn ihn für kurze Zeit der Schlaf übermannte. Dann hörte sie ihn immer noch abgerissene, unverständliche Sätze ausstoßen. Die Selbstvorwürfe in dem Gewirr der Worte, so viel war unschwer zu verstehen, betrafen vor allem die fast vollständige Ausrottung der Marser, an der er sich mitschuldig fühlte. Trotz jahrelanger Vorsichtsmaßnahmen war das geschehen, weil im entscheidenden Augenblick Sorglosigkeit, auch die seinige, alles unwirksam machte. Er konnte sich nicht verzeihen, vorübergehende Zwistigkeiten im Lager der Römer so sträflich überschätzt zu haben.
Als er zur Schlafbank zurückkehrte, war Nelda noch wach. Er klopfte Schnee von seinem Pelz, zog Hose und Schuhe aus und legte sich nieder. Er wollte sich wieder mit dem noch feuchten Pelz bedecken, und Nelda, die ihren Arm nach ihm ausstreckte, griff in den tauenden Schnee. Sie zog ihm den Pelz weg, den sie zu Boden warf, rückte zu ihm heran und nahm ihn unter ihre eigene Felldecke. Sie schmiegte sich an ihn, wärmte ihn mit ihrer Haut. Sanft glitt ihre Hand über seine Brust. Manchmal half das, entspannte ihn und er fand Ruhe.
Doch in dieser Nacht blieb er wach. Sie hörte seine unregelmäßigen, keuchenden Atemzüge.
»Du hast Sorgen«, flüsterte sie nach einer Weile. »Aber bald wird es Grund zur Freude geben.«
Sie streckte sich neben ihm aus, nahm seine Hand und legte sie auf ihren Leib.
»Spürst du es? Es wächst, es ist stark. Es wird wohl ein Sohn werden. Und diesmal… diesmal, das weiß ich genau… wird es leben.«
»Wenn du recht hättest!« Er wandte sich ihr zu und in seiner Stimme war ein freudiges Zittern. »Wenn du recht hättest… So ist das also. Es ist soweit… und ich… ich hab gar nichts bemerkt.«
»Du siehst mich zu selten an… in letzter Zeit.«
»Verzeih mir… verzeih mir. Ja, das ist Grund zur Freude. Wenn es nur diesmal am Leben bleibt…«
»Ich bin sicher, ganz sicher. Es wird im Frühjahr zur Welt kommen. Vielleicht zum Fest der Ostara. Wenn alles blüht und gedeiht, dann kann es nicht sterben, dann muss es doch leben.«
»Ja, und das wird es auch.«
»Wir müssen der Göttin Opfer bringen. Ihr und Frija.«
»Das müssen wir, ja, das werden wir.« Er stieß einen Seufzer aus. »Hoffentlich kann ich dabei sein.«
»Vielleicht lassen uns die Römer in Ruhe. Ihren Rachedurst haben sie doch gestillt.«
»Damit werden sie sich nicht zufrieden geben.«
»Denke jetzt nicht daran. Lass uns jetzt nicht daran denken. Ich möchte, dass du dabei bist, wenn es geboren wird, und es gleich aufhebst.«
»Das wird ein schöner Augenblick, ja… ein großer Augenblick. Wenn ich nur rechtzeitig zurück bin.«
»Zurück? Von woher?«
»Wer weiß…« Er strich mit der Hand über ihren Leib. Nach einer Weile sagte er: »Ich muss fort, Nelda. Morgen früh schon.«
»Wie? Morgen? Jetzt, mitten im Winter?«
Sie richtete sich heftig auf und die Felldecke rutschte von ihrer Schulter. Es war kalt in der Halle, die fast erloschene Glut auf dem Herd in der Mitte wärmte nicht mehr. Er zog sie zu sich herab und deckte sie wieder zu.
»Ja, es muss sein.« Er dämpfte die Stimme, um die Schläfer ringsum nicht zu
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