Die Germanin
Verboten war ihr, sich dem Tor, dem Zaun und dem Wall zu nähern, damit sie nicht mit den Belagerern sprechen konnte. Segestes wies ihr eines der Webhäuser zum ständigen Aufenthalt zu und gab ihr zwei Mägde zur Gesellschaft, denen sie bei der Arbeit zusehen durfte. Es waren stämmige, finster und misstrauisch blickende Weiber, die sie früher nicht gekannt hatte, weil sie erst kurze Zeit auf dem Wehrhof dienten, und sie begriff natürlich, dass die beiden ihre Wächter waren. Nachts in der Wohnhalle lagen sie links und rechts neben ihr auf der Schlafbank. Da sie als Weberinnen wenig geübt und ungeschickt waren, zeigte ihnen Nelda ein paar Kniffe. Schließlich dachte sie an ihr Kind und begann selbst, ein weiches Tuch mit einem lustigen bunten Muster zu weben, in das sie es wickeln wollte. Dabei sang sie, während die Mägde sie böse anstarrten.
Unterdessen wartete Tammo auf den Heerführer und die Verstärkung. Wie ihm befohlen war, unterließ er offene Feindseligkeiten, konnte allerdings nicht verhindern, dass seine Leute den Bauern im Tal Vieh wegschleppten und dass im Streit eine Hütte in Flammen aufging. Er selbst beschränkte sich darauf, mehrmals am Tage und manchmal sogar in der Nacht mit lauter Stimme seine Forderungen zu wiederholen. Er rief die Besatzung des Wehrhofes auf, ihren Gefolgsherrn, den Römling und Verräter, zu verlassen und sich dem Helden Arminius und den Freiheitskämpfern anzuschließen, die den Mördern der befreundeten Marser ein siegreiches Gefecht nach dem anderen lieferten. Tatsächlich erreichte er, dass im Schutze der Nacht mehrere junge Männer den Erdwall und den Zaun überwanden und den Graben durchschwammen.
Einer von ihnen war der sechzehnjährige Hadu, den Nelda vor Jahren mit seiner Mutter und seinen Schwestern vor der Versklavung gerettet und den sie schon einmal, als kleinen Knaben, zu Arminius gesandt hatte. Diesmal war die Botschaft, die sie ihm in einem unbeobachteten Augenblick zuflüstern konnte, eine mündliche: Es gehe ihr gut und bald werde sie Mutter sein. Doch habe sie das Losorakel befragt und es seien die Zeichen herausgekommen, die Unheil für sie und ihr Kind bedeuteten. Deshalb bitte sie flehentlich, den Hof ihres Vaters nicht anzugreifen.
»Aber wir wollen sie doch befreien«, sagte Tammo, nachdem er Hadu nicht ohne Mühe dazu gebracht hatte, auch ihm zu sagen, was ihm von Nelda aufgetragen war. »Was wäre das für ein Unheil?«
»Verstehst du denn nicht?«, erwiderte der Jüngling. »Sie fürchtet sich vor ihrem Vater. Ich habe selbst gehört, wie er sagte: ›Ehe ich sie ausliefere, bringe ich sie um! Das ist mein Vaterrecht. Und so viel Zeit bleibt mir immer, auch wenn sie mit Übermacht angreifen.‹«
»Das hat er gesagt? Sprichst du die Wahrheit?«
»Ich hab es gehört. Er redete mit seinem Bruder, dem Lahmen, und bemerkte mich nicht.«
Es dauerte noch mehrere Tage, ehe Hadu dazu kam, auch dem Heerführer Neldas Botschaft zu übermitteln. Arminius erschien kurz vor Einbruch der Dämmerung mit einem Gefolge von zwanzig Reitern am Hügel. Es regnete. Seine Kleidung war nass und verdreckt, ständiger Kampfeinsatz und Schlaflosigkeit hatten Furchen in sein wettergegerbtes Gesicht gegraben. Die schräge Falte zwischen den Brauen, die die breite Narbe durchschnitt, war tiefer geworden und graue Strähnen durchzogen sein Haar.
Er ließ sich von den Wachen zu Tammo führen. Der etwa Gleichaltrige saß vor seinem Zelt unter einem regendichten Blätterdach und schärfte sein Schwert. Die beiden umarmten sich.
»Noch drei Hundertschaften werden folgen«, sagte Arminius.
»Das ist alles?«, fragte Tammo enttäuscht.
»Mehr kann ich nicht abziehen. Caecina greift uns mal hier, mal dort an, als wollte er uns zum Narren halten. Aber der alte Haudegen weiß, was er tut, er will uns verwirren. Irgendwo wird er versuchen durchzubrechen und überall müssen wir darauf gefasst sein. Er soll allein über vier Legionen verfügen, noch eine mehr als Varus – und Caecina versteht etwas vom Kriegshandwerk. Hätte ich nur Marbod, diesen verfluchten Selbstbetrüger, zu einem Bündnis bewegen können!«
»Wann kommen die dreihundert Männer?«
»Morgen oder übermorgen. Sie sind unterwegs, doch die Wege sind schlecht und das Wetter macht ihnen zu schaffen. Hast du etwas über Nelda erfahren?«
Tammo ließ den jungen Hadu rufen.
»Erzähle dem Heerführer auch, was Segestes gesagt hat«, befahl ihm Tammo. »Was er tun will, falls wir angreifen.«
»Zuzutrauen
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