Die gesandte der Köingin Tess 2
Stimme und den, dem sie gehörte. Ich verabscheute die Arme, die mich festhielten und zwangen, ihm zu gehorchen. Ich ließ meinen Zorn am Wind aus und drückte ihm meinen Willen auf, während er mir die Haare ins Gesicht schlug und die Gischt in feurigen Tropfen umherschleuderte. Wenn ich die schwarze Stimme an Land brachte, würde sie mich loslassen. Dann würde ich frei sein.
Und die Stimme fürchtete sich. Sie fürchtete sich, weigerte sich aber, mich loszulassen.
Ich fürchtete mich vor nichts. Ich war der Wind. Ich gehörte niemandem.
16
Land kam näher. Das wusste ich. Die ersten meiner Zephire hatten es schon berührt, sich wie Engel zum Himmel emporgeschwungen, um über meinen Wind hinwegzurasen und sich dann fallen zu lassen und es mir zu sagen.
Land, sang der Zephir mir vor, und das Herz wurde mir eng vor Aufregung. Bald würde ich frei sein von der schwarzen Stimme, die mich festhielt und immer wieder flüsternd die Freiheit versprach, wenn ich meine Aufgabe erst erfüllt hatte.
Ich sagte dem Zephir, dass ich ihn freilassen würde, sobald ich das Land erreichte. Aber ich log. Der Wind gehörte mir. Ich würde ihn niemals freilassen.
Der Zephir wirbelte bei meinem erneuerten Versprechen wild auf, und ein Windstoß fuhr in das ohnehin schon geblähte Segel. Seine Wildheit entriss mir einen Schrei. Er war wunderschön in seiner Gleichgültigkeit uns gegenüber – wir hätten kentern können. Wasser, schwarz unter der noch nicht aufgegangenen Sonne, klatschte über das Floß und durchweichte mich. Die Stimme und die Arme, die mich gefangen gehalten hatten, erwachten aus ihrem unruhigen Schlaf.
Ich bäumte mich gegen ihn auf, und er überprüfte hastig die seidenen Knoten, mit denen er uns am Mast festgebunden hatte, nachdem ich versucht hatte, uns vom Floß zu spülen. Der Mast summte unter der Kraft von Wind und Wasser. Dieses Beben hatte die ganze Nacht lang in meinem Blut gekocht.
Auch die Stimme hinter mir sang, aber ihr Gesang verblasste neben der prachtvollen Wildheit des Windes, der mir in brutalen Böen ins Gesicht schlug. Ich lachte und sah zu, wie das schwellende Segel sich erst weiß, dann rosig färbte, als der Morgen graute. Die letzten Sterne wurden von der wild schwankenden Takelage heruntergeschlagen und verschwanden voller Scham vom blauer werdenden Himmel.
Doch das Land kam näher. Bald würde ich frei sein von der schwarzen Stimme. Sie flüsterte mir von Dingen, die mir nichts mehr bedeuteten. Aber er hatte versprochen, mich gehen zu lassen.
Nun berührte der wahre Wind zum ersten Mal das Ufer, sandte mir seine bebende Nachricht zu, und meine Kraft wuchs von Neuem. Das Haar wurde mir vors Gesicht geweht, und das Segel begann zu reißen, so wild wurde es herumgeschleudert, und wir rasten voran.
Bald. Bald werden wir frei sein. Die schwarze Stimme hatte es versprochen. Und dann würde der Wind ganz allein mir gehören, und ich konnte mit ihm tun, was mir gefiel. Meine Existenz war ein Brausen von Wind und Wasser, und die Rochen sprangen um uns her und versuchten, mit beiden Welten eins zu werden, mit Meer und Luft.
Hinter mir flüsterte die schwarze Stimme. Ich hasste ihn. Ich konnte den Wind nicht richtig hören, wenn er sich dazwischendrängte. Ich wollte den Wind ganz allein hören, mich darin verlieren, aber er war immer da, ein abscheuliches Auf und Ab, das mir summend in den Ohren hing.
Der Sonnenaufgang brachte Hitze wie stummen Donner. Rot und rund erhob sich die Sonne – meine listige Gefährtin, meine Aufrührerin. Unter ihr wurde die Kraft meines Windes geboren. Stumm, ständig in Bewegung, erhitzte und kühlte sie Erde und Wasser und verlieh meinem Wind seine Macht. Die schwarze Stimme, die mich festhielt, erschauerte. Er fürchtete sich. Ich konnte es riechen.
Und dann sah ich sie. Eine ungebrochene Linie trat aus den von der Sonne vergoldeten Nebelwolken hervor. Meine Erlösung. Mein Ende. Land. Es war nah. Beinahe nah genug, um es zu berühren.
Der Schatten, der mir ins Ohr flüsterte, musste es ebenfalls gesehen haben, denn seine Worte nahmen zu. Sie machten mich verrückt mir ihrer ruhigen Beharrlichkeit, sie sagten mir, wohin ich gehen, was ich dem Wind befehlen sollte. Ich wollte frei sein. Ich gehörte niemandem!
Wie ein aufgezäumter Hengst, der sich an seine freien Jugendjahre auf der weiten Ebene erinnert, beugte ich mich seinen Forderungen und lief in die Richtung, die er mir vorgab. Der Wind kreischte in meinen Ohren, zerrte mich
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