Die gesandte der Köingin Tess 2
sagte ich. »Hör doch.« Ich warf den Kopf zurück. »Er kommt!«
Ihm blieb der Mund offen stehen, und er riss die Augen auf. »Tess? Ist alles in Ordnung?«
»Ja …« Das war ein leiser Hauch. Er kam. Er drängte sich gegen das Wasser, und die Wellen versuchten ihm die Kraft zu rauben, doch sie konnten ihn nicht aufhalten. Er kam!
Die Haare flatterten mir vor die Augen, die ich lächelnd einfach schloss. »Lass mich los«, flüsterte ich, und seine Hand verschwand.
Ein Dröhnen stieg in mir auf, als ich den Mast berührte. Es echote zwischen meinen Handgelenken und den Füßen hin und her, so dass meine Seele im Pulsschlag von Himmel und Erde erbebte. Das Meer hallte wider von den Wogen, die sich hundert Meilen weiter draußen aufschaukelten, doch hier war das Wasser noch ruhig. Die Rochen spürten es bereits. Sie sogen dieses Gefühl in sich auf, so wie ich ihre Gefühle. Ich packte den Mast fester. Ich musste höher hinaus.
»Tess!«
Jeck riss mich rücklings herunter, und ich wäre auf das Deck gestürzt, wenn er mich nicht aufgefangen hätte.
»Lass los«, drohte ich leise, drehte mich um und sah, dass er mich wieder am Arm festhielt.
»Du kannst nicht auf den Mast klettern«, sagte er und starrte mich zornig an. »Du wirst ihn noch brechen.«
»Aber er kommt.« Ich verdrehte meinen Arm, bis er losließ. »Ich muss höher hinauf.«
»Wer kommt?«
»Mein Wind.«
Seine Miene wurde ausdruckslos, und er betrachtete den Wind, der sich über das Wasser schob, als sei er etwas Schlechtes. »O Gott, Tess. Du hast den Wind gerufen.«
Das Segel spannte sich straff gegen seine Seile. Ich hob den Kopf und schnupperte. Seine wunderbare Kraft riss mich hin, als der erste machtvolle Stoß meine Haut berührte. In meinem Geist wurde das Geflüster immer lauter, der Zephir in mir lockte den Wind herbei. Eine starke Böe traf uns, wehte mir das Haar zurück und spannte die Seile, bis sie knirschten. Das Floß erschauerte, und Jeck ließ sich halb auf die Knie fallen und fluchte leise.
Ich konnte nicht anders. Ich sprang am Mast hoch. Ich musste in ihm sein. Ich musste mit dem Wind fliegen. Ich hatte ihn gerufen, und er war mein!
»Tess!« Eine Hand packte mein Kleid und zog mich herunter. Eine niedrige Welle schwappte über das Floß hinweg und strömte kalt über meine Füße.
»Lass los«, fauchte ich. Die Luft drängte sich gegen mich, das Brausen in meinem Kopf versprach mir, dass er mich befreien konnte, wenn ich ihm nur gehorchte. Doch Jeck hielt meinen Arm gepackt. Seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen. Ich erinnerte mich an Angst, empfand aber keine. Der Wind rief nach mir. Sonst gab es nichts.
»Lass ihn gehen, Tess«, sagte er. »Du musst ihn freilassen. Du hast den Wind gerufen – ich weiß nicht, wie –, aber jetzt muss du ihn gehen lassen. Lass ihn frei, rasch, ehe er dich an sich reißt!«
Er hielt mich an den Schultern fest, doch mein Kopf war hoch erhoben, dem Mond entgegen. Es war keine Wolke zu sehen. Der Wind strich durch mein Haar und ließ das Segel ebenso schwellen wie meine Seele. Ich hatte ihn herbeigerufen, und doch blieb ich an die Erde gekettet. Ich spürte, wie die Wut sich in mir aufbaute, Zorn darüber, dass er es wagte, mich zurückzuhalten – ich wollte mich der Macht anschließen, die ich beschworen hatte. Sie gehörte mir. »Nimm die Hände von mir«, sagte ich leise. Ich presste die Lippen zusammen, mein Herz hämmerte. Vom Gift wurde mir warm, und meine Haut prickelte, wo der Wind sie berührte.
Er schüttelte den Kopf. »Tess, das war ein Fehler. Spieler rufen den Wind nicht herbei, weil sie ihn nicht beherrschen können. Lass ihn los.« Seine Stimme war besänftigend, peitschte aber mein Blut zu einem rasenden Strom auf. »Lass ihn frei.«
Eine boshafte Verschlagenheit überkam mich, als ich zum mondhellen Horizont blickte. Das Floß schwankte, doch ich hielt das Gleichgewicht, hin und her geschoben vom Wind und den Wellen. Ich beherrschte den Wind; der Wind beherrschte nicht mich. Ich war stärker als er. Er gehörte mir. Und wenn er getan hatte, was ich von ihm verlangte, würde ich ihn behalten. Ich war so stark, dass ich mein Versprechen nicht zu erfüllen brauchte.
Plötzlicher Zorn stieg in mir auf, als ich merkte, dass Jeck noch immer meinen Arm gepackt hielt. »Lass – los.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.« Sein Griff wurde noch stärker, hielt mich gefangen. Tat mir weh.
Rasende, heiße Wut schoss aus meinem Zentrum in meine Hände. Der Wind
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