Die gesandte der Köingin Tess 2
ernsthaften Irrsinn der Einsamkeit. Ihr zweitbestes Messer hing an einer geflochtenen Schnur um meine Hüfte, und sie hatte mir die Stiefel gegeben, die ihre Schwiegertochter früher getragen hatte. Ich hatte mich geweigert, eine ihrer Decken anzunehmen, obwohl sie die Lippen von den schlechten Zähnen gezogen und mich finster angestarrt hatte. Doch seither war fast ein ganzer Tag vergangen, und die Stimme der Frau hatte sich irgendwo zwischen meinen Erinnerungen verloren, verstreut vom beharrlichen Flüstern des Windes.
Die natürliche Brise erschien wieder in den Bäumen – und der Zephir in meinem Kopf sang sein melancholisches Lied zur Antwort.
Ich war so müde. Es fiel mir immer schwerer, meine Füße in Bewegung zu halten und meine Gedanken von den Versprechungen des Windes abzulenken. Ich musste mit Jeck mithalten. Wenn ich es nicht schaffte, würde er Kavenlow von dem Puntabiss erzählen, und wie gefährlich meine Magie außer Kontrolle geriet, und dass sich das Gift in der Bisswunde jedes Mal wieder nachbildete, wenn ich etwas davon abzog.
Kavenlow, dachte ich nachdenklich und zwang mich weiterzugehen. Wenn mein Giftpegel nicht absank, konnte ich keine Spielerin sein. Puntagift war die Waffe der Wahl aller Spieler. Ein einziger Pfeil eines Rivalen, und ich würde nicht nur das Spiel verlieren, das ich gerade spielte, sondern auch mein Leben. Aber was konnte ich denn sonst sein, wenn ich keine Spielerin wurde? Ich kannte das Geheimnis, wusste von der Existenz der Spieler, konnte aber nicht mitspielen. Weder Spielerin noch Figur: Ich würde nicht viel mehr sein als eine Zielscheibe, die man gegen Kavenlow benutzen konnte.
»Ich könnte mit Duncan fortgehen«, flüsterte ich, fand aber an dem Gedanken nicht so viel Freude, wie ich meiner Meinung nach finden sollte. Nicht, dass er mir nichts bedeutet hätte. Selbst in diesem Augenblick wurden meine Wangen heiß bei der Erinnerung daran, wie ich unter ihm im Sand gelegen hatte, wie himmlisch sich sein Kuss angefühlt und was er in mir geweckt hatte. Ich wusste, dass er mich glücklich machen konnte, aber ich fürchtete, das könnte nicht mehr die Frage sein. Die unmittelbare Gefahr, aus dem Spiel genommen zu werden, hatte mir ganz klar vor Augen geführt, dass ich mehr brauchte.
Duncan konnte mich glücklich machen. Gemeinsam konnten wir reisen wie die Nomaden, wohin es uns gefiel. Seine Erfahrung in der Welt und meine Möglichkeiten, etwa damit Geld zu verdienen, dass ich lesen und schreiben konnte, würden genug Sicherheit bieten. Und obwohl ein Teil von mir sich nach diesem einfachen Abenteuer sehnte, wusste ich, dass es mir nicht genügen würde. Irgendwann würde ich Duncan dafür hassen, dass er mich dazu gebracht hatte, ihn dem Leben vorzuziehen, das mir versprochen worden war. Sich um meine eigene Sicherheit zu kümmern, war viel zu einfach – ich war dazu ausgebildet worden, für die Sicherheit eines ganzen Königreichs zu sorgen, und ohne diese Herausforderung würde ich verkümmern, mit jedem Tag ein wenig mehr.
Ich war fast von Geburt an als Kavenlows Nachfolgerin ausgebildet worden. Herrschen, und sei es im Geheimen, das war es, was ich gut konnte und gern tat. Doch um das tun zu können, würde ich mehr als einmal riskieren, Kavenlows Spiel zu verlieren, das Königreich und womöglich mein Leben. Und Jeck wusste das. Damit hatte Kavenlows Rivale mich praktisch in der Hand, denn er konnte mich erpressen. Ich musste mich entscheiden, und es gab keine Möglichkeit, die mir gefiel. Ich konnte nichts tun, um Frieden zu finden. Meine Aussichten waren so düster wie der Pfad, den ich entlangstolperte, den Kopf eingezogen, um den tief hängenden Zweigen auszuweichen, so wie ich der Entscheidung auswich, um den bevorstehenden Kummer hinauszuzögern.
Vielleicht, dachte ich und streckte die gesunde Hand aus, um eine Dornenranke aus dem Weg zu schieben, sterbe ich auf dem Weg zum Palast und brauche mich gar nicht zu entscheiden. Jeck würde ohnehin versuchen, mich zu töten, sobald sein Spiel es erforderte. Das hatte er mir selbst gesagt. Kavenlows Zuneigung zu mir brachte meinen Lehrmeister in eine gefährliche, heikle Position. Und Jeck würde nicht zögern, diese Situation oder meine neue Empfindlichkeit gegenüber dem Gift auszunutzen. Es war reines Glück für mich, dass er jetzt keines bei sich hatte, weil Kapitän Rylan ihm seinen Vorrat geraubt hatte, ehe mein Schiff gesunken war.
Ich setzte den Fuß auf etwas Spitzes, vermutlich eine Eichel.
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