Die gesandte der Köingin Tess 2
schon hundert Mal aus dem Palast schleichen und davonmachen können, und er hatte es nicht getan. Er hatte mich damals nicht im Stich gelassen, und er würde mich auch jetzt nicht im Stich lassen.
»Contessa«, sagte ich und beugte mich vor, so dass meine Kette klirrte. »Er musste lügen, damit er uns helfen kann. Wenn er neben uns an die Wand gekettet wäre, würde das niemandem etwas nützen.«
»Er ist ein verlogener, betrügerischer, dreckiger Hund«, erwiderte sie verbittert, »der uns hier verrotten lässt, während er seine Intrigen spinnt. Der Einzige, der etwas von seiner Freiheit hat, ist er .«
»Manchmal sind Intrigen mächtiger als Schwerter«, sagte ich und dachte an meine vielen Lügen, die erforderlich waren in dem Spiel, bei dem ich sie wie eine Spielfigur nach Belieben manipulierte. Duncan war vermutlich ehrlicher als ich. »Er kann mit einem Schwert nicht gut umgehen. Er muss seinen gewitzten Verstand gebrauchen. Er hat uns nicht im Stich gelassen«, sagte ich, obwohl sich ein hässliches Scheibchen Zweifel zwischen mein Herz und meinen Kopf schob.
»Aber ich habe ihn doch gehört!«, rief sie leise. »Er hat dich als Närrin bezeichnet und gesagt, Costenopolis würde fallen, ehe ein Erbe gezeugt, geschweige denn geboren würde, und er sei fertig damit, er hätte dem Land schon alles abgenommen, was er konnte. Er hat dich verraten, Tess. Er rettet seine eigene Haut und kehrt uns den Rücken zu.«
Contessas leise Stimme klang hart. Alex bewegte sich leicht. »Rose?«, murmelte er.
»Nein«, flüsterte Contessa, und ihr Zorn zerrann wie Wasser. Sie strich ihm mit der blassen Hand übers Haar und versuchte, seinen zerrissenen Kragen zurechtzurücken. »Contessa, Alex. Ich bin Contessa.«
Ich sah zu, wie sie ihn beruhigte, und fragte mich, ob er gleich aufwachen würde. Doch dann kam ich zu dem Schluss, dass er im Fieber fantasierte. Ganz schwach fand ich in meinem pochenden Hinterkopf die Erinnerung daran, wie er nach seiner »Rose, süße Rosie« gerufen hatte, während ich bewusstlos gewesen war.
Contessas Atem klang rau, und sie schien wieder den Tränen nahe zu sein. Anscheinend geschah das in letzter Zeit ständig. Sie tat mir aufrichtig leid. Sie hatte fast zwei Tage lang ganz allein hier gesessen, an die Wand gekettet, um ihren Mann gebangt, mich nicht erreichen können, und die ganze Zeit über hatte sie nicht gewusst, ob einer von uns beiden überleben würde. Aber Duncan war frei, und das machte mir Hoffnung.
»Contessa?«, sagte ich leise, und sie hob den Kopf. Hinter dem langen, fettigen Haar waren ihre Augen rot gerändert und geschwollen. »Es tut mir leid. Ich wusste von Duncans Diebesmal. Ich hätte dir davon erzählen sollen. Er hat es nicht verdient. Er hat es anstelle eines anderen bekommen, und er schämt sich dafür, dass er es trägt. Deshalb habe ich dir nichts gesagt. Er wird uns nicht im Stich lassen. Daran muss ich einfach glauben.«
Ihr Feuer war erloschen. Sie sank in sich zusammen, und das Haar fiel ihr wieder vors Gesicht. Ihre Hände hörten keinen Augenblick auf, Alex zu streicheln. Meine Kette klirrte leise, als ich versuchte, näher an sie heranzurücken. »Erzähl mir, was passiert ist«, bat ich.
Die Sonne fiel auf ihre Hände, die über seine Stirn glitten und ihm sacht das Haar zurückstrichen. Ihre Finger waren rissig vom Salzwasser und sahen wund aus. »Der Baum hat dich bewusstlos geschlagen«, sagte sie, und ich konnte hören, dass ihr die Erinnerung die Kehle zuschnürte. »Die Seeleute sind über dich hergefallen. Alex hat versucht, sie abzuwehren. Ich hatte solche Angst. Er hat es nicht geschafft, nicht einmal mit Duncans Hilfe. Sie haben ihm wehgetan.« Sie rang zittrig nach Atem. »Sie haben ihm ein Messer in die Schulter gestoßen, um ihn auf die Knie zu zwingen. Aber nicht einmal dann hat er ihnen gehorcht. Heute Morgen haben sie die Wunde ausgebrannt, weil ich ihnen gesagt habe, dass sie sich entzündet hat. Fünf Männer waren nötig, um ihn festzuhalten.«
Ich schluckte schwer und streckte unwillkürlich die Hand nach ihr aus. Ich stellte mir vor, wie sie hier unten saß und sich das anhören musste, ohne ihm helfen zu können oder auch nur zu wissen, was sie ihm antaten, bis sie ihn zu ihr zurückbrachten.
»Ich weiß nicht, ob es ihm besser geht oder nicht«, sagte sie mit täuschend ruhiger Stimme. »Er will nichts essen, und das bisschen Wasser, das ich ihm einflößen konnte, verbrennt einfach im Fieber.«
»Wasser?«, fragte ich,
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