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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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voller Seel bis in die Spitzen der schmalen Finger.“
    Schlatter sprang auf und bückte sich nach dem Pinsel, der Annas Hand mit leisem Klirren entfallen war.
    Frau Margaretha dehnte sich. „Seltsam,“ sagte sie mit einem kleinen verstohlenen Blick nach den beiden hin, und dann befahl sie: „Fahret fort, Herr Hofmeister, von ihrer Gestalt sollt Ihr uns reden.“
    „Die Gestalt?“ Schlatter trat wieder ins Fenster und sann einen Augenblick nach, als vom Burghof herauf ein starkes Getrampel und Räderrollen vernehmlich wurde.
    „Was ist, wer kommt?“ rief die Landvögtin unangenehm überrascht. Schlatter beugte sich zum Fenster hinaus und gab Auskunft:
    „Eine fürnehme Kalesche — steigt eine Dame aus — eine alte, das Gesicht — mit Verlaub — einer Enten nicht unähnlich und ebenso der Gang!“
    „Heiliger Felix,“ rief Frau Margaretha mit komischer Verzweiflung, „das ist die Tante Ursula, nun ist es fertig mit unsern Sitzungen! Bis ich die Zeitungen alle vernommen — heut und morgen läßt sie mich nimmer aus. Ihr aber, wenn ich euch raten kann, fliehet, daß ihr nicht auch noch hereingezogen werdet in die Klappermühle!“ Sie nickte den beiden mit einem übermütigen Blick zu und verschwand.
    „Wie schade, nun ist das Bild wieder nicht fertig geworden, und fehlt doch so wenig mehr,“ seufzte Anna, während sie ihre Sachen zusammenpackte.
    „Ihr habt doch noch ein ander Werk unterhänds, wie wär’s, wann Ihr solches fürnähmt? Es ist noch früh am Nachmittag und das Wetter schön.“
    „Ihr meint das Schloß?“ Sie schüttelte den Kopf: „Nein, da doch Frau Holzhalb mitzukommen verhindert ist.“
    „Und ich?“ Schlatter sah sie dringend an: „Kann ich Euch in gar nichts dienen? Was soll ich anfangen mit der Zeit, da die andern alle weg sind?“
    Anna zögerte einen Augenblick, dann sah sie ihn groß an: „Ich lieb’ es nicht, wenn Ihr so redet, wie Ihr es vorhin getan.“
    „Dann soll es nimmer geschehen,“ sagte der andere ernst. „Seid Ihr nun nicht mehr bös, und darf ich Euch begleiten?“ Er blickte bittend, fast ein wenig verlegen, aber gut und grad. „Wohl,“ sagte sie bestimmt, „mein Geräte könnt Ihr tragen.“
    Sie machten sich auf den Weg.
    Der Ort, von wo aus Anna auf der Landvögtin Wunsch das Schloß malte, lag in halber Höhe am steigenden Lägerberg, durch ein schmales Tälchen von dem vorgelagerten Hügel getrennt, darauf Burg und Städtchen thronten. Der Frühnachmittag füllte das baumreiche Gelände mit einer warmen, etwas feuchten Sonnenluft, durch die schon hie und da mit feinem Modergeruch ein wehmütiges Herbstmahnen ging. Rüstig durchschritten die beiden die schmalen Pfade, die von der Burg niederwärts, über etwelche die Ringmauern verbindende lustige Trepplein hinunter und auf der andern Seite zwischen Wald und Wiesen aufwärts führten. Mit heißen Wangen und klopfenden Herzen erreichten sie die kleine Wiese, wo Anna ihre Staffelei aufzupflanzen pflegte. Unter einer breitschirmigen Esche, deren schon etwas gelichtete Zweige ein feingoldenes Geäder über den blaßblauen Himmel zogen, ließen sie sich nieder.
    „Wie gut haben wir es getroffen,“ sagte Anna freudig, während sie ihr Malgerät hervornahm, „so schön war es noch nie!“ Und sie maß mit entzückten Augen das glänzende Bild, das sich ihnen bot. Über dem dunkeln Rahmen eines nahen Tannensaumes stieg das hochgetürmte Städtchen mit seiner mächtigen Feste unvermittelt auf, von der sonnenfeuchten Luft seltsam fern und hoch gerückt. Dahinter aber schwamm die silbern duftende Ebene, zufernst in den zarten Himmel verklingend.
    Schlatter, der sich neben Anna in die Wiese gesetzt, folgte ihren Blicken. „Das ist der September,“ sagte er nachdenklich, „der liebe, silberige September, und dünkt mich doch kein Monat schöner als er. Wie mild legt er seine kühlen Nächte und zarten Tage über die Gluten und Schmerzen des Sommers. Alles ist fein an ihm und sanft, der blasse Himmel, die sterbenden Wiesen mit den verlöschenden Flämmlein der Herbstzeitlosen, die weich vergilbenden Bäum — und gar die Luft, von Silberschleiern durchzogen, mild, mild, wie das gütige Lächeln einer schönen Frau, die ganze Welt wie ein Herz, so den Frieden gefunden und sich nun langsam der Erfüllung neiget.“
    Anna sah über sich: „Ja, so blaß der Himmel, und über ein kleines wird er wieder dunkel sein und leuchtend, und die goldnen und roten Bäum stehen vor der Bläue, und in den Rebbergen

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