Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Mädchen da; aber als Anna sie näher betrachtete, sah sie, daß ihre Lider dick und rot waren. Sie hatte eine kleine rote Rose in der Hand und hielt sie nun Anna haib bittend, halb störrisch entgegen. Aber diese schüttelte den Kopf: „Nein, Kind, damit ist’s nicht getan, deine Beleidigung abbitten sollst.“
Da warf das Estherlein mit einer zornigen Bewegung die Locken aus dem heißen Gesicht:
„Ich kann es nicht sagen, ich kann nicht, lieber über die Mauer da hinabspringen, tausendmal lieber!“
„Weißt was,“ sagte Anna, milder gestimmt — das Mädchen erbarmte sie in seinem verzweifelten Trotz — „weißt was, so bring du ihm die Rose; brauchst weiter nichts zu sagen, und ich komm’ noch mit dir, wenn d’ willst.“ Auch dagegen wehrte sie sich; aber da nun Schlatter, nach einem lebhaften Gespräch mit dem Landvogt, selbst raschen Schrittes zu ihnen herüberkam und Anna sie mit den Worten: „Da ist eine, die wieder gutmachen möchte!“ dem andern zuschob, drückte ihm das Estherlein mit plötzlicher Bewegung die Rose in die Hand und stürzte dann davon.
Schlatter zuckte ein wenig zusammen; dann zeigte er Anna seinen schmalen langen Finger, daraus ein kleiner Blutstropfen langsam hervordrang. „Es hat mich gestochen, das Teufelchen,“ sagte er und lachte dann plötzlich heraus, so hell und jungenhaft, daß Anna erstaunt aufhorchte. Wie paßte dieses junge, ungebändigte Lachen zu dem ernsthaften Menschen mit der verschleierten Stimme und dem verhaltenen Schimmer in den langen Augen? Sie vermeinte, auf einmal wie durch ein Fensterlein in eine Zweiheit seines Wesens geblickt zu haben, und derweil sie das Estherlein entschuldigte, daß es sonst ein gar herzig aufgewecktes Persönchen, bloß seiner Kleine wegen zu sehr als Kind behandelt und deshalb etwas verwöhnt sei, forschte sie in seinem Gesicht nach einem Zug, der ihr irgendwie dies Seltsame seines Wesens erklären konnte, und da entdeckte sie, daß der große Mund um ein weniges weicher gebildet war, als man es gemeinhin bei Männern gewohnt ist. Vielleicht auch waren die merkwürdig weißen Zähne schuld daran, daß er so jung erschien und so beweglich, als ob er nicht ganz hineingehörte in dieses hagere Gesicht mit den ernsten Brauen.
„Ich muß Euch etwas mitteilen,“ sagte Schlatter, während er des Estherlein Rose auf seinen Hut steckte: „Herr Holzhalb hat mich gefragt, ob ich hier bleiben könnt’ für meine Vakanzen, damit ich seinem Praeceptori mit meiner hofmeisterlichen Erfahrung etwas nachhelfen könnt’, und weilen mich ja doch kein Vaterhaus erwartet, hab’ ich angenommen. Tut’s Euch leid, daß Ihr für etwas Zeit die Einsamkeit heroben mit mir teilen müßt?“
Forschend, mit einem schier ängstlichen Blick sah er Anna an. Sie blieb ihm die Antwort schuldig; denn sie wußte nicht, ob das, was ihr bei seinen Worten mit einem ganz kleinen Schmerz durch die Brust gefahren, bloß Überraschung war oder Freude oder am Ende gar Schreck … „So wünsch’ ich Euch einen frohen und ersprießlichen Aufenthalt heroben,“ sagte sie leichthin und wandte sich dann mit flüchtigem Kopfnicken von ihm weg, den andern zu, die unter der mächtigen Burglinde um das Brautpaar versammelt standen.
Als es gegen Abend ging, brach die Gesellschaft auf, Onkel Pfarrers und Dietschis, die Amt und Geschäft riefen, sowie auch die beiden Reiter geradewegs nach Zürich. Die andern erwartete das Abendbrot in Dielsdorf, allwo das freundliche Fest sich noch in die Nacht hinein erstrecken sollte. Es dauerte geraume Zeit, bis man sich mit viel wohlgesetzten und herzlichen Worten geziemend von den Gastfreunden verabschiedet hatte, und als die Kutschen endlich vollgestopft und die Pferde vorgeführt waren, zeigte es sich erst noch, daß Heinrich fehlte, der seit mehr als einer Stunde verschwunden war.
Endlich erschien auch er, Arm in Arm mit dem jungen Beat Holzhalb. „Ist er etwan auch ein Schwarmgeist, der Heinrich?“ wandte sich der Landvogt an Herrn Waser, als er die Jünglinge mit den heißen Köpfen und glänzenden Augen gewahrte. „Dann tätest mir leid, Amtmann, maßen mir mein Bub viel Kummer macht mit seinem überspannten und pietistischen Getue!“ Und da nun die beiden mit einer schier mädchenhaften Zärtlichkeit sich verabschiedeten, sahen ihnen die Väter kopfschüttelnd und mit sorgenhaften Augen zu.
Anna hatte sich entschieden, auch diesmal mit den Kindern zu gehen, und während der Zug, voran die Reiter und die
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