Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
landvögtliche Kalesche mit dem Brautpaar, schwerfällig unter dem festen Kronentor neben der Burg verschwand, schritt Anna leichten Fußes durch das abendlich leuchtende Städtchen. Das landvögtliche Ehepaar gab ihr das Geleit bis dorthin, wo der Weg, hinter der schön gebauten Präfektur mit dem mächtig gewölbten Tenntor, von der flachen Höhe plötzlich und unvermittelt ins Rebgelände hinabsank. Mit herzlichen Worten und einem frohen: „Auf Wiedersehen morgen!“ nahm man Abschied.
Langsam folgte Anna den voraneilenden Kindern und blickte in die rötlich dampfende Ebene hinaus, die sich in dunstenden Fernen mit dem Himmel verband. Sie blieb einen Augenblick stehen und suchte die Zürcherstraße, auf der sie auch bald die beiden Reiter gewahrte, die raschen Flugs den langsamen Kutschen vorankamen. Da hielt der eine der beiden, und Annas scharfe Augen gewahrten, daß es der dunkle war und daß er mit gewendetem Pferd nach dem Berg hinaufschaute. Einen Augenblick später aber jagte er wieder gestreckten Laufs neben dem andern dahin, und Annas Blicke folgten ihnen, weithin, bis zwei kleine Pünktchen sich in der Ferne verloren. Und als sie nun dachte, daß der eine von den beiden morgen schon von dort zurückkommen würde, da wußte sie plötzlich, daß das kleine Zucken in ihrer Brust nicht bloß Überraschung gewesen und auch nicht Schreck.
Der Abend glutete voller und verwandelte das nebelnde Land in ein rotes Meer. Mächtiger und unbegrenzter als am Morgen erschien die Welt, und doch fühlte Anna kein Bangen mehr vor dieser Weite; ihr war, als ob auch sie getragen würde von den roten Fluten fernhin an ein glänzendes Gestade.
Sinnend stieg sie tiefer. Die Kinder waren nicht mehr zu sehen. Da fiel ihr ein, daß das Estherlein wohl auf sie warte, unten bei der Grube, mit einem Mohnstrauß in der Hand, und still lächelnd beschleunigte sie den schlanken Schritt.
*
Unter der hellen Fensterreihe ihres Giebelzimmers saß Frau Margarethe Holzhalb in einem erdbeerfarbenen Samtkleid, daraus ihr mattschimmernder bräunlicher Hals weich und stolz hervorwuchs. Ein resedenfarbener Teppich hing hinter ihrem schönen Kopf und zog bläuliche Lichter aus ihrem glänzend schwarzen Haar. Mit Befriedigung betrachtete Anna die feine Farbenstufung, die ihr Pinsel allbereits mit zartem Schmelz festgehalten hatte. Nur hie und da war ein Schatten noch etwas zu schwer, ein Übergang zu hart. „Ihr könnt Euch um ein weniges ausruhen, edle Frau,“ sagte Anna, während sie mit dem fein gespitzten Pinselchen behutsam den Fehlern nachging.
Die Landvögtin seufzte erleichtert auf, warf sich anmutig im Sessel zurück und schlug die schmalen Füße wohlig übereinander. Dann blickte sie belustigt nach Schlatter hinüber, der in der tiefen Fensternische sitzend unverwandt Annas emsige Finger betrachtete. „Ihr seid ein schlechter Unterhalter,“ rief sie mit übermütigem Lachen, „und wenn Ihr’s nicht besser versteht, einer armen sitzenden Frau die Langeweile zu verkürzen, dann mag die gute Meinung, so ich von Euern Kavalierstugenden gehabt, um ein Gewaltiges sinken!“
Schlatter fuhr auf und warf die Strähne, die ihm übers nachdenksame Gesicht gefallen war, jäh aus der Stirn. „Zu Euern Diensten, vieledle Frau,“ sagte er mit liebenswürdigem Lächeln und etwas übertriebener Reverenz; „was aber kann Euer schönes Ohr zu hören wünschen?“
„Was Ihr wollt! Erzählt uns von Holland!“
Schlatter zuckte die Schultern und machte ein gelangweiltes Gesicht; dann fing er an aufzusagen im einförmig singenden Ton der Schulbuben: „Holland ist ein helles flaches Land mit schwerfälliger Luft und seichten nutzbringenden Gewässern, und die Menschen sind ebenso.“
„Schlingel,“ rief die Landvögtin vergnügt, „wartet nur, ich will Euch ein ander Sujet geben, daraus Ihr Euch nicht so leicht werdet ziehen können! Wann man von den Männern etwas Besonderes hören will, muß man sie über das Frauenzimmer befragen. Also, erzählet uns von den holländischen Frauen. Sie sollen schön sein, mit einer Haut wie Apfelblüten und stattlich gebaut.“
Schlatter überlegte einen Augenblick, während Anna ihren Kopf tiefer auf die Arbeit neigte. „Apfelblüt,“ sagte er dann gedehnt, „ist wohl ein gar zu zartes Wort, ehnder möcht’ ich ihre gesunde Haut jenen Frühlingsprimeln vergleichen mit dem rohen und unverhüllten Rot, das mit der Zeit gern ins Bläuliche überspringt. Stattlich? Ja, viele von ihnen sehen aus wie
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