Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Stadtgöttinnen, daß man ohnwillkürlich nach einer Mauerkron auf den Köpfen sucht, und auch sonsten überall harte Mauern und Bollwerk an ihnen vermutend ist.“ Und während die Landvögtin sich leise kichernd weicher in ihrem Stuhle rekelte, fuhr er fort: „Ihre Gesichter aber haben gemeiniglich diesen Fehler, daß sie zuviel Maul zeigen und zuwenig Stirn; ich aber kann ein Gesicht niemalen schön finden, darin die Kinnlade über den Schädel, das Eßinstrumentum über die Denkmaschine sieget. Und dann haben sie zumeist breite und rötliche Händ, wie ausgeweitet und aufgeweicht vom vielen Scheuern, maßen die Holländerinnen sich mit der Fegbürsten ins Paradeis hineinzuputzen vermeinen. Ich aber,“ fügte er leiser hinzu, „könnte niemalen eine Frau lieben, so breite und rosenrote Händ hat.“
Befriedigt betrachtete Frau Margaretha ihre feinen bräunlichen Finger. „So sagt uns denn, wie die Frau sein soll, die Ihr zu lieben wünschtet?“ fragte sie mit einem schnellen Aufblitzen ihrer schwarzen Augen.
Aber Anna fuhr ein wenig hastig dazwischen: „Darf ich Euch, eine Zeit lang ruhig zu sein, wieder bitten? Sonderheitlich den Mund sollt’ ich in seiner Ruhe betrachten können.“
„Sobald der dort redet,“ sagte die andere schalkhaft, und während Schlatter zu erzählen begann, setzte sie sich in Position. Anna aber erbebte leise: Das war wieder die besondere, verschleierte, untertönige Stimme, die sie damals im Rebberg zuerst an ihm vernommen hatte und die er in den acht Tagen, so sie selbander hier verbracht, nur selten hatte hören lassen und zumeist, wann sie allein waren.
Er sprach: „Es gibt Frauen, die sind stolz und kühl wie Tulipanen; solche haben einen hohen Gang und überlegene Augen und sind wie ein Tag im Jänner, hell und gleißend; man kann sie wohl bewundern, aber lieben nicht; denn ihre weißen Händ, wann man sie berührt, sind leblos und hart wie ein Stück Marmelstein.
Und solche gibt’s, sie sind bunt und lustig wie ein Stiefmütterchenbeet im Frühling, darin die hundert Immen summen. Daran hat man seine Freud und sein Vergnügen, aber lieben kann man sie nicht, maßen ihr bunt und offenbar Gesicht ohne Tiefe und ohne Geheimnis.
Und Mädchen gibt es, die sind fein und hold wie Röslein und haben einen süßen Duft. Die mag man wohl lieben, einen Tag oder zwei; aber dann ist es vorbei mit beidem, mit der Liebe und mit dem Duft, und weiß man kaum, daß man sie je gesehen.
Und es gibt Feuerlilien. Die leuchten und locken, und ihr Atem ist heiß und geht einem schwer zu Kopf, folgt aber ein arms Imblein dem betörsamen Duft und will gar trinken aus dem Flammenkelch, dann schlagen die roten Blätter darüber zusammen und weiß keines, wie es wieder herfürkommen mag und ob’s noch herfürkommt. Die Feuerlilien, die möcht man wohl lieben, aber man sollt’ nicht, dieweil solche Liebe nicht Labsal gibt und Trost, wohl aber Glut und verderbendes Feuer … Nun hab’ ich einmal eine Blume gesehn, fein und feurig, herb und süß, stolz und zart, klar und doch voller Rätsel, die möcht’ ich wohl lieben.“
„Ihr redet zu dunkel,“ sagte Frau Margaretha etwas ungeduldig. „Ich hab’ Euch nach dem Frauenzimmer gefragt. Ihr aber sprecht wie ein Gärtner von seiner Serren. Genaues möcht’ ich wissen: Wie sollen ihre Augen sein, wie ihre Gestalt, wie das Haar? Blond oder braun oder gar schwarz?“
„Das Haar?“ Schlatter sah sinnend vor sich hin: „Keins davon und alls zugleich: braun, wann der matte Morgen heraufzieht mit der tauigen und verdeckten Luft, schwarz, wann die Nacht die dunkeln Schatten breitet, aber wann der helle Mittag scheint, blond schier mit roten und güldenen Lichtlein … Die Augen aber müßten offen sein und still und so tief, daß einer, sobald er hineinschaut, sich von einer stillen und klaren Luft ganz eingehüllt vermeint, darin seine Seele klar wird wie ein Kristall oder ein fein durchsichtig Lüftlein.“
Die Landvögtin lachte: „Ihr seid ein Phantast, aber es hört sich wohl an. Fahret fort!“
„Der Mund ist beides, herb und süß, mit schmaler Linie, aber blühend die Farb, und die Füße schmal und hochgeschwungen. Wie kann man eine Frau lieben, so auf niedrigen und breiten Füßen geht? Aber hoch und leicht wandelt es sich auf diesem schmalen stolzen Fuß … Das Schönste aber sind die Hände. Wie Blumen wachsen sie aus den schlanken Armen heraus, und weiß sind sie und zart, wie die Blätter der Magnolia, aber voll Leben und
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