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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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solltet nicht dermaßen davonjagen,“ sagte er mit heißem Atem, „es hätte ein Unglück passieren können.“
    Anna sah, daß er sich geängstigt hatte, das freute und reizte sie zugleich. „Da ist keine Angst nicht zu haben,“ sagte sie lachend. „Ich hab’ eine sichere Hand und weiß, was ich tu’.“
    „Ja,“ sagte der andere nachdenklich, „eine sichere Hand und wißt, was Ihr tut, das stimmt.“
    Ein kleiner Wald nahm sie auf. Die Wege wurden zusehends steiler und schmaler. Nun hieß es aufpassen und sie erweisen, die sichere Hand. Mit scharfen Augen maß Anna den schwierigen Pfad, man mußte sich sorgfältig aufwärts tasten, zwischen Stämmen durch, über starkes Wurzelwerk, aufwärts. Später holte sie der Vikar ein. „Ihr seid falsch geritten, mit Verlaub!“ rief er ärgerlich. „Da kommen wir nicht weiter, wir können ja doch nicht auf den Gipfel!“
    „Warum nicht?“ fragte Schlatter hochmütig zurück.
    „Ihr werdet es sehn, sobald wir aus dem Forst heraus, das sind doch keine Saumpferd!“
    Und wirklich, als sie den Wald durchquert hatten, zeigte es sich, daß an ein Weiterreiten nicht zu denken war, da jenseits einer kleinen, ziemlich ebenen Terrasse der Pfad auf eins ganz steil wurde und völlig unkommlich für den Reiter.
    „Wie schade, so nah am Ziel umkehren zu müssen!“ sagte Anna betrübt.
    „Das ist nicht gerade nötig,“ entgegnete Schlatter; „die kleine Strecke könnte man ja auch zu Fuß zurücklegen, was meinet Ihr?“
    „Das wär’ schon schön, aber die Pferde?“
    „Die lassen wir hier!“ rief Schlatter erfreut, während er schnell von seinem Braunen sprang und das Tier an einem Baume festband. „Und der Herr Vikar, der tut uns am End den Gefallen und hält derweil Wache hier?“ Mit einem etwas kläglichen Gesicht stimmte Weggler bei.
    Auch Anna schickte sich an, abzusteigen. Aber da war schon Schlatter neben ihr. „Wartet,“ befahl er, „ich helf’ Euch!“ Und ehe sie’s hindern konnte, faßte er sie mit starken Händen und ließ sie langsam niedergleiten.
    Einen Augenblick lang fühlte sie seinen Herzschlag, einen Augenblick lang sah sie sein Auge ganz nahe an dem ihren, daß sie meinte, den Hauch seiner Wimper zu verspüren, dann stand sie schon auf dem festen Boden. Langsam wandte sie sich ab und ging dem aufwärtsführenden Pfad zu, mit unsichern Füßen; denn sie zitterte am ganzen Leib, und ihr Herz stockte. Wie gejagt floh sie die steile Höhe hinan — nur jetzt ihn nicht sehen, nicht sprechen; aber als sie oben ankam mit heißem Blut und schwimmenden Augen, schämte sie sich ihrer Flucht — wann er es bemerkt hätte!
    Rasch holte Schlatter sie ein: „Ihr seid geflogen wie ein Sommervogel!“ Er sah sie still an, und in seinen Augen glänzte etwas wie bei einem Menschen, dem ein Wundersames widerfuhr. Dann führte er sie auf einen kleinen Vorsprung, von wo aus der Blick ungehindert in die Runde ging.
    Anna dachte, daß es wohl schön sein müsse, das Land dort unten, das ihr wie etwas Fremdes und Unwirkliches in die Augen gleißte; aber sie sah nichts, sie fühlte nur, daß er neben ihr stand, ganz nahe, und daß sie seine Nähe hätte fliehen sollen, und da er nun mit ausgestreckter Hand ihr die Gegend erklärte und dabei sein Arm ihre Schulter berührte, fuhr sie leise zusammen.
    Schlatter hielt ein in seiner Erklärung. Er griff nach ihrer Hand und sah ihr forschend in die Augen: „Warum,“ fragte er leise, und seine Stimme schwankte, „warum habt Ihr gezittert vorhin, als ich Euch vom Pferde hob?“
    Anna erschrak. Sie biß sich in die Lippe, dann aber hob sie stolz den Kopf: „Glaubt Ihr, es sei angenehm, also zwischen Himmel und Erden zu schweben und ohne den festen Boden unter den Füßen?“ Ihre Stimme klang fast gleichgültig.
    „Ach so!“ Er ließ enttäuscht ihre Hand fallen. „Angst also, bloße kindische Angst! Und ich Narr,“ fügte er bitter bei, „hatte an ein Wunder geglaubt, an eine Offenbarung von Seele zu Seele, da in Eurer zitternden Nähe und unterm Schlag Eures Herzens alles Große und Heilige in mir zu klingen begann, daß mein armer Leib von Seligkeit und himmlischem Wohlklang also erbebte wie der Dom unter Orgelrauschen. Ihr aber hattet keinen Anteil daran, Ihr bangtet bloß, daß Ihr den Boden gewännet?“ Er lachte bitter auf; aber dann griff er wieder nach ihrer Hand: „Ist es möglich, die Augen lagen ineinander und die Herzen fühlten sich und Ihr spürtet nichts? Oh, so seht Ihr nicht aus, so

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